Mathematik in der jüngeren Kunst – Kataloge zu zwei Ausstellungen „Mathematik und Kunst“ in Wiesbaden

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Das Thema Mathematik und Kunst ist in der Mathothek durch ausgesprochen viele und verschiedenartige Exponate vertreten. Da sich interessante Ausstellungen in Museen, Kunstgalerien, dem Mathematikum in Gießen usw. „nicht selbst in der Mathothek zum Anfassen präsentieren lassen“, so sind einige doch durch entsprechende Kataloge, die zu diesen Ausstellungen hergegeben wurden, „durch Bild und Wort zugänglich“. Sie werden in mehreren Artikeln vorgestellt. In den folgenden Darstellungen geht es um die Annäherung der modernen Kunst an die Mathematik, durch die mathematisch-geometrischen Themen und Hintergründe.

DER RAUM DER LINIE – Amerikanische Zeichnungen und Skulpturen ab 1960 – Sammlung Michalke

Ausstellung im Museum Wiesbaden vom 12. Juli bis zum 7. Oktober 2011

Der Einband des Katalogs zeigt das Bild einer Arbeit von Barry Le Va, Tangle Piece aus dem Jahre 1968.

Aus dem Vorwort von Michael Semff, Corinna Thierolf, Alexander Klar:

„Raum und Linie – als Abstraktum ein hochphilosophisches Sujet – umfassen die beiden entscheidenden Parameter jeder bildenden Kunst seit Jahrtausenden. Ob eine der Umriss-Zeichnungen in der Höhle von Altamira (16000 v. Chr.), Weißliniendekor auf einer attischen Vase des 4. Jhs. v. Chr., eine der puren Linienzeichnungen auf Papier von Ingres, Ellsworth Kellys vor drei Jahren geschaffene Bleistiftzeichnung ‚Banana Leaf I‘ oder schließlich eine Eisendraht-Skulptur wie Max Bills ‚Raumspiralen‘ von 1946/47, eine Stahlskulptur wie Norbert Krickes ‚Raumplastik Blau‘ von 1978 oder eine der nur hauchartig wahrnehmbaren Fadenskulpturen Fred Sandbacks vom Ende des 20. Jahrhunderts: Sämtliche genannten sowie die in der Ausstellung gezeigten Werke erkunden jeweils über genuin lineare Setzungen sowohl die plane Fläche als abstrakten ‚Bild-Raum‘ als auch den durchlässigen Luftkörper als den uns umhüllenden ‚Real-Raum‘, der den Betrachter zugleich einbezieht.“ 

BARRY LE VA, Intersections: 4 Groups, 1970

Detail: CHARLOTTE POSENENSKE, Rasterbild, 1957

SOL LEWITT, Incomplete Open Cube 3/1, 1974

SOL LEWITT, Incomplete Open Cube 6/7, 1974

SOL LEWITT, Incomplete Open Cube 10/4, 1974

 

JO BAER, Untitled, 1962

GERHARD RICHTER, Objekte, 1969

DONALD JUDD, Untitled, 1962

BARRY LE VA, Bearings Rolled, 1966

„Es scheint sich über die Zeiten grundsätzlich nicht so viel am künstlerischen Ansatz – wie der engen Durchdringung von Linearem und Räumlichem, von Positiv und Negativ, von Geist und Materie – geändert zu haben, wenngleich der jeweilige Anlass und die Bedingungen in der Abfolge oft weit auseinander liegender Epochen permanentem Wandel unterworfen waren.“

Von Fred Sandback gibt es in der Mathothek zwei Hefte mit Drucken mit dem Titel 16 Variationen von zwei diagonalen Linien aus den Jahren 1972 und 1973.

Sandback studierte von 1962 bis 1966 an der Yale University, von 1966 bis 1969 Bildhauerei an der Yale School of Art and Architecture in New Haven, Connecticut. Bekannt wurde er für seine minimalistischen Skulpturen, für die er farbige Acrylfäden in Räumen zu geometrischen Figuren aufspannte.

Er sah sich in erster Linie als Bildhauer. Er mochte die Fundiertheit des Titels „Bildhauer“, die im Zusammenhang mit seiner frühen Liebe für die Skulpturen von Michelangelo, Rodin und Henry Moore stand.

Seine Arbeitsweise charakterisierte er wie folgt: „Ich habe mich schon früh von dem Modell solcher einzelnen skulpturalen Volumina zugunsten einer Skulptur gelöst, die weniger ein Ding an sich wurde und mehr eine diffuse Schnittstelle zwischen mir, meiner Umgebung und anderen, die diese Umgebung bevölkern; errichtet aus dünnen Linien, die ausreichend Raum ließen, um sich durch sie hindurch und in ihr herumzubewegen. Noch Skulptur, wenn auch weniger dicht, mit einer Ambivalenz zwischen Außenraum und Innenraum. Eine Zeichnung, die man bewohnen kann.“ 2014/2015 gab es eine große Ausstellung im Museum Wiesbaden: Fred Sandback: Drawings (Retrospektive von Sandbacks zeichnerischem Werk , ergänzt um zentrale skulpturale Arbeiten).

In der Mathothek gibt es ein Objekt, das einer im Wiesbadener Museum befindlichen Arbeit Fred Sandbacks nachempfunden wurde:

Rune Mields – INFINITY

Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden 2019

Während in Bezug auf Rune Mields, eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen, das Museum Wiesbaden eine Lücke aufweist, ist sie in der Sammlung des Landesmuseums Mainz vertreten. In einem ausführlichen Interview mit dem Wiesbadener Kurier vom 9. Mai 2019 bekennt sich die Künstlerin zu ihrer Leidenschaft für mathematische Prozesse. Hier sind einige der Antworten auf gestellte Fragen:

Frau Mields, wir gewinnen im NKV einen wunderbaren Einblick in verschiedene Schaffensphasen und erleben zudem ein kleines Comeback. Seit 2016 waren ihre Arbeiten nicht mehr in einer Einzelausstellung zu sehen, wie kommt das?

Ich passe nicht in diese Zeit. Meine Werke sind nicht bunt, sondern Schwarz-Weiß, viel zu rational und mathematisch.

Und [Sie] schreiben selbst, Zahlen nämlich.

Mich interessieren mathematische Prozesse und wann zum ersten Mal Plus und Minus aufgetaucht sind sowie Ziffernsysteme, und wie Zahlen in den verschiedenen Kulturen geschrieben werden. Ich betrachte die Verbindungen und Ähnlichkeiten. Auch die Zeichen von Alchimisten haben mich sehr fasziniert.

Sie befassen sich etwa mit den englischen Mathematikern William Oughtred und Robert Recorde, die vor einem halben Jahrtausend forschten, und widmen ihnen Arbeiten, die als Hommage verstanden werden dürfen. Was ist so reizvoll an Mathematik?

Die Logik, die darin steckt. Die einfache Wahrheit. Eins und eins macht immer zwei.

Gab es eine Initialzündung, was hat sie infiziert.

Die Frührenaissance und die Zentralperspektive. Mein Vater hatte Kunstgeschichte studiert und in unserem Bücherschrank faszinierten mich zwei Bücher besonders, eines über Matthias Grünewald und eines über Tiepolo.

Das heißt, sie abstrahieren nicht nur, sondern fassen die menschliche Existenz an sich sowie zyklisches Geschehen ins Auge. Den passenden Auftakt zur NKV-Ausstellung bildet eine Reihe mit Papierarbeiten von 2016: „Die verrinnende Zeit“. Im Zentrum stehen Sanduhren. Ingeborg Bachmann thematisierte die gestundete Zeit, Marcel Proust die verlorene. Sie sprechen mit Bildkunst die Endlichkeit an.

Mich beschäftigen stark auch Musik und Tod. In Claudio Monteverdis Krönung der Poppea heißt es, das Leben sei ein versiegender Fluss. Wenn man realisiert, dass einem die Zeit unter den Fingern verrinnt, lebt man intensiver

Ordnungssysteme sind ihre Leidenschaft, Ihr ausgeprägtes Interesse an Strukturen ist Grundlage Ihrer Kunst. Sind Sie auch privat ein sehr strukturierter Mensch?

Ja.

Das erste Foto zeigt eine Arbeit von Rune Mields aus einer Reihe Steinzeitgeometrie, in der sie jeweils einen Ausschnitt einer Höhlenwand überträgt und ein Zeichen besonders hervorhebt. Es handelt sich dabei größtenteils um Felsritzungen aus Höhlen Mittelfrankreichs mit ihrem Formenvokabular aus abstrakten Zeichen, die einen stark geometrischem Charakter besitzen.

Die anderen abgebildeten Arbeiten von Rune Mields erschließen sich mit einigen mathematischen Kenntnissen ohne weitere Hinweise.

Der in der Mathothek zur Verfügung stehende informative Katalog RUNE MIELDS – INFINITY – Werke der letzten Jahre erschien anlässlich der Ausstellung in der Galerie der Stadt Sindelfingen 2010. Interessant ist auch der in der Mathothek vorhandene Katalog einer Ausstellung des Mathematikums in Gießen:

Im Februar 2022 fand eine Ausstellung im Wiesbadener Rathaus statt, mit dem Titel

Mathematik in Farbe, Beziehungen, Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Gesetzmäßigkeiten in Farbe „umgeformt“ von Jürgen Felger, Dipl.-Ing. (FH) und Oberstudienrat in Wiesbaden.

Die Werke haben eine große und beeindruckende Vielfarbigkeit und wichtige mathematische Themen. In der Mathothek gibt es informative Flyer zu dieser Ausstellung und den künstlerischen Arbeiten von Felger.

Das erste Bild hat den Titel Der Goldene Schnitt: „Fibonacci-Spirale“:

Das zweite Beispiel heißt „Archimedes“ und beschäftigt sich mit den Volumina von Kegel, Kugel und Zylinder, die die gleiche Höhe und den gleichen Durchmesser haben.

Das dritte Beispiel hat den Titel Die „Großen Drei“ – e Pi Phi:

Das vierte Bild ist mit „Pick meets Fibonacci“ betitelt:

Von dieser Ausstellung sind auch Impulse in die Mathothek ausgegangen.

Über die Künstlerin Ingrid Hornef gibt es eine gesonderte Darstellung im Katalog und Objekte zu ihrer mathematisch interessanten Konkreten Kunst in der Mathothek:

Es gibt in der Mathothek sehr viele Möglichkeiten, sich mit Zusammenhängen von Mathematik und Kunst auseinanderzusetzen. Besonders die Begriffe Proportionen, Symmetrien und Harmonien sind hier die verbindenden Themen. Sehr ausgiebig treten in diesem Kontext das Wesen der Zahlen der Fibonacci-Folge und dem mit ihr verbundenen Goldenen Schnitt als eine besondere Schnittmenge auf.

Noch schwerpunktmäßiger über Mathematik und Kunst informieren die in der Mathothek zur Verfügung stehenden Kataloge zu Kunstausstellungen im Mathematikum in Gießen:

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