Ein besonderer Weg zur Mathematik: Staunen – Fragen – Erkennen

“So etwas habe ich ja noch nirgends gesehen”, staunte begeistert der Wiesbadener Oberbürgermeister Gerich vor kurzem bei seiner Stippvisite in der Mathothek anlässlich seines Besuches am GMB. Das war nicht anders als bei fast allen Besucherinnen und Besuchern jeden Alters, die den einladenden Raum der Mathothek am Mosbacher Berg betreten und sich von den mehr als tausend Exponaten faszinieren lassen. Fast alle ästhetischen Objekte sind in der Überzahl selbst hergestellte Unikate, die zum Anfassen verführen, zum Experimentieren oder Spielen animieren. Das ist der Start, um vom Staunen, über das Fragen schließlich zum Erkennen zu kommen. Aktuelle Forschungen belegen die besondere Bedeutung der Zusammenarbeit unserer Sinne, insbesondere von Tast- und Sehsinn. In diesem Licht schafft die Mathothek ein ideales Umfeld für das Wechselspiel zwischen dem Handeln mit Objekten und mentalen Operationen. Von dem Entwicklungspsychologen Jean Piaget stammen die Aussagen: “Denken entsteht durch Verinnerlichung von gegenständlichen Handlungen” und “Vorstellung ersetzt erst dann das Handeln, wenn es von diesem ausreichend Erkenntnisse gewonnen hat.” Mathothek – Mathematik begreifbar machen, so lautet deshalb das Anliegen der Sammlung und ihrer Angebote.

“Wie kamen Sie auf die Idee, eine Mathothek zu machen?”, fragte ein kleines chinesisches Mädchen bei seiner ersten Begegnung mit der Mathothek. Ich berichtete ihm von einer großartigen Ausstellung im Jahr 2000 in Mainz “Mathematik zum Anfassen”, die ich mit verschiedenen Schülergruppen besucht hatte und wie begeistert wir alle waren. Aus dieser   Wanderausstellung entstand später das Gießener Mathematikum. Durch dieses Erlebnis wurde ich angeregt, in der Projektwoche 2000/2001 einen ersten Versuch zu machen, ein entsprechendes Projekt zu starten. Durch die großartige Resonanz entwickelte sich dann bei mir die Idee eines “kleinen Mathemuseums”, was sofort auf die positive Reaktion der Schulleiterin stieß. Die Fünftklässlerin übrigens, die die obige Frage gestellt hatte, wandte sich nach meiner Erklärung zu ihren Nachbarn und meinte: “Ich war schon so oft mit meinen Eltern in medizinischen Ausstellungen, aber ich bin noch nie auf die Idee gekommen, ein “Medizinikum” zu machen.” Von ihr habe ich dann die chinesische Zahlenschreibweise gelernt.

Die Idee wurde bei mir immer konkreter und erschien mir als die Möglichkeit, meine didaktischen und methodischen Erfahrungen “fassbar” umzusetzen. Die Anzahl der Exponate wuchs, auch durch eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft mit begeisterten Schülerinnen und Schülern, deren Urteile und Meinungen, aber auch deren Begeisterung zum wesentlichen Treibstoff meiner Motivation wurden.

“Ich war und bin sehr beeindruckt von der Vielfalt der Darstellung über das Thema Mathematik.” So oder ähnlich äußern sich viele Besucher. Das meint auch eine Schülerin, wenn sie schreibt: “Die Mathothek ist total interessant und voller toller Sachen: vom Schweinchen-Würfeln bis zur Pyramide aus Holzklötzchen.” Tatsächlich besitzt die Mathothek viele Exponate zu den verschiedensten mathematischen Bereichen, so beispielsweise zu den Themen Fibonacci-Zahlen und Goldener Schnitt in Kunst, Natur und Mathematik, Symmetrie als universelles Prinzip, Zahlen und Rechnen, Rechnen vor dem Taschenrechner, Kreise und andere Kegelschnitte, Ordnen, Zählen und Wahrscheinlichkeit, die Brücken von Königsberg oder das Haus des Nikolaus und die Graphentheorie, das Unendliche mit seinen Möglichkeiten und Problemen, optische Täuschungen, Mathematik im Alltag usw.

“Les jeux sont faits – Les secrets des miroirs sont découverts.” Das schrieb ein Französisch-LK ins Gästebuch, nachdem er zum Thema “réflexions” eine interessante Doppelstunde mit den vielen Spiegelobjekten der Mathothek experimentiert hatte. Es war ein besonderer Besuch, weil man üblicherweise Mathematik und Französisch nicht zwangsläufig verbindet. Die Besuche von Kunstkursen liegen da schon näher. Jede solche Nutzung der Mathothek aus der Perspektive eines anderen Fachs ist erwünscht und fruchtbar.

“Diese Sammlung sollten viele sehen, mit den Objekten spielen und arbeiten und dabei feststellen, wie interessant die Mathematik ist. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, so etwas hier zu entdecken.”  Der spielerische Aspekt wird oft abwertend gesehen. Oft geht es menschenunwürdig nur noch darum, immer nur optimal zu funktionieren. Ganz zu Unrecht! Der richtige Umgang mit dem Spieltrieb ist gerade beim Erwerb mathematischer Fähigkeiten eine tragende Basis und nicht sinnlos, so wie wir es sogar bei höheren Tieren als Vorbereitung auf die Überlebensherausforderungen beobachten. Deswegen könnte auch “Rettet das Spiel!” ein Motto der Mathothek sein. Viele Exponate in der Mathothek sind daher in ein Spiel eingekleidet. Dabei geht es keinesfalls immer darum zu gewinnen oder zu verlieren. Interaktive Objekte fordern oft zu eigenen Spielregeln heraus. Auch das Experimentieren ist ein sinnvolles Spielen auf der Vorstellungsebene mit konkreten Objekten zur Überprüfung mit Fragestellungen und erkennenden Antworten. Ähnlich wie bei der Begegnung mit den vielen optischen Täuschungen spielt bei aller Phantasie und Kreativität die strenge Logik immer wieder die entscheidende Rolle. Durch spielerische Momente wird aber auch vielen der Weg zu mathematischen Erkenntnissen angst- und stressfreier gestaltet. Dem stimmte auch eine Schülerin zu: “Mathe ist  ja gar nicht so schlimm. Ist voll cool hier! Danke für alles!”

Ich finde Mathe cool, das macht Spaß. Ich finde es cool, dass Mathe was mit Religion und Fußball zu tun hat.” Das war das Urteil des neunjährigen Jason am Ende seines Mathotheksbesuchs. Toll, dass er erkannt hatte, dass man überall auf Mathematisches stoßen kann. Gerade die Verbindung von der Mathematik zu allen möglichen anderen Bereichen, wie Kunst, Design, Technik, Natur und Kultur liegt der Mathothek am Herzen. So lässt sich für ganz unterschiedliche Menschen die eine oder andere Tür zum mathematischen Sehen öffnen. Besonders wichtig ist es, den Besuchern zu vermitteln, dass auch die ewigen Wahrheiten der Mathematik historisch durch große Begabungen, aber auch durch die Kommunikation von Menschen entdeckt worden sind.

“Toll – und was hat das jetzt mit Mathe zu tun?”  Tatsächlich ist die Ästhetik der Objekte das  – vielleicht – wichtigste Kriterium für die Aufnahme in die Sammlung. Ein sinnvoller mathematischer Bezug ist natürlich immer vorhanden oder zu finden – gemäß dem Motto der Mathothek: Mathematik ist überall!

“Ich wohne jetzt schon 20 Jahre im selben Haus, in der gleichen Umgebung. Nach dem Anschauen der interessanten Bilder über Mathematik im Alltag sehe ich vieles ganz neu.”  Neben dem Ziel, zu zeigen, dass Mathematik überall vorhanden ist, ist die Sehschulung ein zentrales Anliegen der Mathothek. Eine der größten Schwierigkeiten von sehr vielen Menschen ist es, den mathematischen Gehalt, die mathematischen Strukturen überhaupt zu erkennen, um sie dann nutzen zu können.

“Ich wünschte, dass mir in meiner Schulzeit auch jemand diesen Zugang zur Mathematik gezeigt hätte.” Das sagte eine Mutter und Architektin nach einem Besuch in der Mathothek anlässlich eines Schulfestes beim Betrachten des Geometrie-Setzkastens. Diese Wertschätzung der Mathothek als Stätte eines unmittelbaren Erfahrens von Mathematik, auch der Möglichkeit – ohne großartige Einleitung – “quereinsteigen” zu können, wird von vielen Besuchern zum Ausdruck gebracht. Dies erzeugt in ihnen oft einen neuen Motivationsschub, sich wieder der Mathematik zu stellen.

“Halten Sie mir auch nicht die Kundschaft ab?” Das fragte mich Prof. Beutelspacher vom Mathematikum in Gießen, als ich ihn mit Bildern und Worten zu einem Besuch der Mathothek eingeladen habe. Dieser Besuch in der Mathothek mit einem gut besuchten Vortrag in der Aula fand 2010 statt. Übrigens war meine Antwort auf seine Frage: “Im Gegenteil, ich schicke sie zu Ihnen.” Ich war und bin ein begeisterter und bewundernder Fan des Mathematikums in Gießen. Daher auch der Slogan “Die Mathothek ist die emanzipierte Tochter des Mathematikums”. Und inzwischen auch volljährig!

“Und was haben Sie jetzt davon?”  Das fragte ein Schüler aus einer zehnten Klasse am Ende des Besuches seiner Klasse in der Mathothek. Eine nicht einfach von der Hand zu weisende Reaktion in einer Zeit, in der Anerkennung durch Geld und noch mehr Geld erfolgt.

Es gibt aber auch andere Reaktionen. So verstehen viele jüngere und auch ältere an der Mathothek Interessierte, dass Freiheit, Kreativität und Einsatz für die Realisierung einer tragenden Idee, wovon dann auch andere etwas haben, Sinn stiftend und befriedigend sein kann. Die immer wieder erlebte Begeisterung und daraus oft folgende Unterstützung durch Schüler und Eltern ist dann wieder eine Bestätigung.

“Das hat doch sicher auch eine Menge Geld gekostet.” – “Kein Problem, denn ich bin Milliardär, aber das dürft ihr nicht weitersagen.”  Meine Antwort auf die immer wieder mal gestellte Frage führt zunächst zu großem Erstaunen. Zur Beruhigung zeige ich den Schülern und auch älteren Besuchern eine Schatulle mit Geldscheinen aus der Inflationszeit der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Soviel über ein Exponat zum Thema “Große Zahlen”.

“Was passiert mit all den tollen Objekten, wenn Sie mal tot sind?” So fragte eine Schülerin, die mit ihrer siebten Klasse die Mathothek kennengelernt hatte, in einer  spontanen Reaktion am Ende der begeisternden Exploration der Mathothek.

Die Mathothek ist jedenfalls lebendiger denn je. Das zeigt auch die Online-Stellung der ersten knapp 200 Artikel des neuen Katalogs der Mathothek, der laufend durch weitere Artikel ergänzt wird. In den Artikeln werden einzelne Exponate oder auch mehrere thematisch zusammengehörende Exponate mit informativen Bildern und erklärenden Texten in allgemeinverständlicher Sprache vorgestellt. Begeisterte Besucher und Freunde der Mathothek wachsen ständig nach, sowie auch Ideen und Angebote. Alle regelmäßigen Veranstaltungen, Angebote und Sonderaktionen sind auf der Website der Mathothek zu finden, aber noch viel mehr. Besonders aussagekräftig sind die zahlreichen Bilder aus dem Leben in der Mathothek. (Die Website der Mathothek ist unabhängig von der der Schule.) Hier die Web-Adresse der Mathothek: www.mathothek.de

Auf dieser Website finden Sie demnächst auch die besonderen Veranstaltungen der Mathothek zum 50. Jubiläum des Gymnasiums am Mosbacher Berg.

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