Labyrinthe und Irrgärten – Der Faden der Ariadne und die Informatik

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Labyrinthe gibt es schon sehr lange und in vielen Variationen. Dabei gibt es viele Labyrinthe, die der Benutzer immer überschauen kann. Sie finden sich u.a. auch in großen Kathedralen in der Form ästhetischer Bodenmosaike. Sie bewirken beim Begehen eine konzentrierende und meditative Wirkung auf denjenigen, der auf dessen verschlungenem Weg wandelt. Solche Labyrinthe symbolisieren den Lebensweg des Menschen, seine oft vom menschlichen Pilger nicht einsehbaren und oft scheinbar ziellosen Pfaden. Nur durch die Schau von außen und oben wird der Plan und das Ziel sichtbar und kann nachvollzogen werden. Diese Erfahrung soll dem Gläubigen helfen, auf Gottes Führung bei seiner Erdenwanderung zu vertrauen. 

In der Mathothek gibt es das oben gezeigte Geschicklichkeitsspiel, das das älteste erhaltene Kirchenlabyrinth abbildet. Dieses befindet sich in der berühmten 1260 geweihten Kathedrale von Chartres, wurde dort aber nicht erfunden. Dieser Typ wurde dann in vielen Kirchen und anderen Orten benutzt. Das Labyrinth von Chartres ist mit den Maßen 12,60m und 12,30m leicht ellipsoid. Möglicherweise hat der Baumeister das gemacht, um das zu einem bestimmten Moment durch die Fensterrose einfallende Licht entsprechend erhellt zu werden. Bei unserem Mini-Labyrinth ist die äußere Form ein Kreis. Auf dieser kreisrunden Scheibe ist eine breite Rille in der Form eines Labyrinths eingearbeitet. Dazu gibt es eine passende Stahlkugel. Die Aufgabe besteht nun darin, die bewegliche Scheibe so geschickt zu bewegen, dass die Kugel entlang des vertieften Labyrinth-Weges störungsfrei vom Startpunkt zum Mittelpunkt rollt und auch zurück. Das hat durchaus eine Menge mit dem Original zu tun: mit Konzentration sich auf einem kurvenreichen und bewusst verlängertem Weg zur Mitte und zurück „zu bewegen“.

Von den beiden kleineren Geschicklichkeit-Labyrinthen ist das eine ebenfalls vom Chartres-Typ. Das zweite hat aber ein noch viel älteres Labyrinth als Vorbild und wird „Kopf des Apoll“ genannt.

Es gibt bei diesen Labyrinthen keinen direkten Weg vom Eingang zum Ziel, keine Kreuzungen und keine Sackgassen, im Gegensatz zu einem Irrgarten. Sie nehmen auch keine Spiralform an und besitzen keine echte Symmetrie, obwohl meist auf den ersten Blick ein solcher Eindruck entsteht. Der Weg zur Mitte ist auch der Weg zurück.

Das quadratische Labyrinth hat sein Vorbild in einem Rasenlabyrinth in Winchester (England). Dieses ist fehlerhaft im 19. Jh. rekonstruiert worden. Die Vorgänger führen weit in die Vorgeschichte zurück. Allerdings besitzt dieses Labyrinth auch Kreuzungen und Sackgassen und ist somit ein echter Irrgarten. Hier lassen sich die bei den zwei Mini-Irrgärten möglichen und erläuterten Erfahrungen und Verfahren anwenden. Das in der Informatik und auch sonst so nützliche „Backtracking“, also das intelligente Probieren und Testen, kann auch hier erfolgreich sein.

Die drei weiteren Spiele sind für die, die immer noch Lust darauf haben, sich geschickt durch Labyrinthe zu bewegen. In der kleinen Metallbox sind verschiedene Kugeln, unter denen man jeweils eine geeignete auswählen kann.

Es gibt in der Mathothek darüber hinaus noch eine ganze Reihe ansprechender und anspruchsvoller Exponate, bei denen die Idee des Labyrinths eine Rolle spielt.

Wie schon das Apoll-Labyrinth zeigt, gibt es nicht nur christliche Interpretationen des Labyrinths. Besonders häufig beziehen sich Labyrinthe und Irrgärten auf den antiken Theseus-Mythos. In einem solchen Labyrinth hielt König Minos von Kreta der Sage nach den gefährlichen Minotaurus gefangen. Alle paar Jahre mussten diesem Wesen sieben Jungfrauen und sieben junge Männer geopfert werden. Der Held Theseus wollte den Minotaurus töten, um der Grausamkeit ein Ende zu bereiten. Ariadne, die Königstochter, hatte sich in den mutigen Theseus verliebt und gab ihm deswegen einen roten Faden mit, um wieder aus dem Labyrinth herauszufinden.

„Der Faden der Ariadne“ ist heute noch sprichwörtlich verbreitet. Gemeint ist dann meist der grundlegende Gedanke, auch der klare Durchblick bei einer verwickelten Geschichte oder unübersichtlichen Situation ebenso der logische Leitfaden in komplexen Zusammenhängen. Auch in der Mathematik ist neben den logischen Teilschritten der „Ariadnefaden“ des Beweisgedankens grundlegend wichtig.  

Im Zeitalter des Barocks mit seinen Schlössern und Parks waren Labyrinthe und vor allem Irrgärten sehr beliebt. Sie dienten der Hofgesellschaft, die meist sehr eng aufeinander lebte, auch als Versteckspiel und bot die Möglichkeit, sich hin und wieder von anderen abzusetzen. An einen solchen Irrgarten erinnert das Mini-Labyrinth in der Mathothek mit seiner grünen Hecke und den Sandwegen.

Das kleine Labyrinth hat einen Eingang und eine Pyramide als Ziel. Anschließend heißt es dann wieder den Eingang zu finden und als Ausgang zu benutzen. Ein roter Faden, den man am Eingang befestigte und dann auf dem gewählten Weg ausrollte, würde so das Finden des Ausgangs sichern. Aber wie das hübsche Objekt in der Mathothek zeigt, geht das auch ohne den roten Faden der Ariadne: mit der rechten (oder linken) Handregel: Nach dem Eintritt bewegt man sich immer so, dass man das Hindernis, hier die grüne Hecke,  immer zur rechten (linken) Hand hat. Am Beispiel unseres Irrgartens erkennt man dann leicht, dass man jedes Mal wieder zum Eingang (=Ausgang) gelangt. Allerdings ist dieses nicht der kürzeste Weg durch unseren Irrgarten, aber sicher. Dass dieser „Faden der Ariadne“ so funktioniert, liegt darin begründet, dass das Hindernis, unsere grüne Hecke, zusammenhängend ist. Bei einem nicht zusammenhängenden Hindernis würde man um einen abgetrennten Teil des Hindernisses im Kreis herumlaufen. Deswegen reicht in diesem Fall die rechte Handregel so nicht aus.

Statt rotem Faden oder rechter Handregel könnte man dem Besucher auch einen übersichtlichen Graphen oder eine Anweisung in die Hand drücken.

Hier sind die vier Stellen mit gelb unterlegten Zahlen markiert, an denen der Besucher sich zwischen zwei Richtungen entscheiden muss: Bei 1 muss er sich zwischen rechts oder links (geradeaus), bei 2 zwischen links oder rechts, bei 3 zwischen rechts oder links und bei 4 zwischen rechts oder links entscheiden. Der richtige Weg (ohne Sackgassen) zur Pyramide lässt sich dann kurz so beschreiben: 1, links → 2, links → 3, links → 4, links → Pyramide.  

Der zweite Mini-Irrgarten, den es in der Mathothek gibt, besitzt ein nicht zusammenhängendes Hindernis. In der Sprache der Graphentheorie heißen die Stellen, an denen eine Entscheidung getroffen werden muss, Knotenpunkte oder kurz: Knoten. Die sie verbindenden Wege sind die Kanten. Auf dem folgenden Bild sind alle Kreuzungen vom Start (S) bis zum Ausgang (Exit) durch Fragezeichen gekennzeichnet. 

Zunächst versuchen wir den Weg vom Startpunkt zum Ausgang mit der Tiefensuche zu finden. Wir beginnen am Startpunkt und bewegen uns nach dem Motto „rechts vor links“ zum nächsten Knoten, dort wiederholen wir das Vorgehen. Landen wir in einer Sackgasse, so gehen wir zum letzten Knoten zurück und bewegen uns auf einem noch nicht begangenen Weg zum nächsten Knoten. (Gegebenenfalls muss man auch weiter als zum letzten Knoten zurückgehen, falls es dort keine bisher noch unbenutzten Wege gibt.) Dort wiederholen wir erneut unser Vorgehen: Wir bewegen uns auf einem jeweils noch nicht begangenem Weg. Landen wir dabei in einer Sackgasse, so kehren wir zum früheren Knoten zurück und nutzen einen noch nicht benutzten Weg usw.  

Unsere Lösung lautet: Start, rechts → 1, rechts →2, rechts → 3, links → 4, links → Ausgang.

Die Tiefensuche führt schnell weiter weg vom Start. Bei der Suche nach dem Ausgang mithilfe der Breitensuche werden zuerst die Nachfolger des Startknotens aufgesucht und nummeriert, ohne weiterzugehen (auch hier halten wir uns an das Prinzip „erst rechts, dann links“), dann untersuchen wir die nummerierten Kreuzungen, indem wir mit 1 beginnen. Erneut untersuchen wir die abgehenden Kanten, ob es sich um eine Sackgasse handelt oder ob sie zu einem neuen Knoten führen. In diesem Fall nummerieren wir diese neue Kreuzung, wie alle weiteren Knoten auch. Mit diesem Algorithmus gelangen wir auch zum Ausgang.

Tiefen- und Breitensuche sind zwei Strategien, die in der Informatik oft genutzt werden, und zwar bei sehr vielen „Irrgärten“ auf der Suche nach einem Weg von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt. 

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