Umwählen bringt’s – Neue Einkleidungen des “Ziegenproblems”

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Paradoxe Antworten auf anscheinend vernünftige Fragen, Behauptungen, die der eigenen Intuition oder dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheinen, dafür gibt es in der Mathothek etliche Exponate.

Bei den beiden folgenden Exponaten in der Mathothek handelt es sich um  ein weiteres Experiment mit paradoxem Ergebnis, und zwar in gleich zwei Verkleidungen:  “Die richtige Schatzkiste auswählen” und “Das andere Hütchenspiel”. Diesen  beiden Spielen liegt dieselbe Idee zugrunde, die vor Jahren auch einer Unterhaltungssendung eines privaten Fernsehsenders diente. Dieses Spiel, bei dem ein Luxusauto zu gewinnen war, führte in den 1990er Jahren zu einer für viele Menschen nicht nachvollziehbaren Behauptung und einer breiten Diskussion unter der Bezeichnung “Ziegenproblem”. Zeitungen brachten zum “Ziegenproblem” Beiträge, ganze Bücher erschienen, im Matheunterricht diskutierten Schüler und Lehrer. 

Das Ziegenproblem: Auf der Bühne sind drei geschlossene Türen zu sehen und ein Moderator mit einem Kandidaten. Alle Zuschauer wissen, dass sich hinter einer der drei Türen ein Luxusauto als Gewinn für den Spieler befindet, aber hinter den beiden anderen Türen je eine Ziege. Nur der Moderator weiß, was hinter welcher Tür auf den Spieler wartet. Er fordert den Spieler auf, sich für eine Tür zu entscheiden, hinter der er den Gewinn vermutet. Nachdem sich dieser entschieden hat, öffnet der Moderator eine Tür, und zwar weder die ausgewählte noch die, hinter der sich die Ziege befindet. Jetzt fragt der Moderator den Kandidaten, ob er um wählen möchte oder bei seiner ersten Entscheidung bleiben. Nachdem dieser sich entschieden und geantwortet hat, öffnet der Spielleiter die restlichen beiden Türen.

Behauptung: Wenn der Spieler seine erste Entscheidung revidiert und sich für die Alternative entscheidet, verdoppelt sich seine Wahrscheinlichkeit zu gewinnen.

Diese Behauptung schien vielen Zeitgenossen ihrer Intuition entgegenzustehen. Das Ziegenproblem war in der Welt.

Das erste Exponat der Mathothek zum Ziegenproblem besteht aus drei verschieden farbigen Holzkästchen. In zweien befindet sich je ein Plastikinsekt, das dritte ist randvoll mit Halbedelsteinen gefüllt. Ein Besucher übernimmt die Rolle des Moderators, d.h. er weiß Bescheid, in welchem Kästchen die Edelsteine sind, und kennt den Ablauf des Spieles. Ein anderer Besucher der Mathothek übernimmt die Rolle des ahnungslosen Kandidaten. Anschließend erfolgt dasselbe Ritual wie bei dem oben beschriebenen “Ziegenproblem”. Ein typischer Verlauf könnte so aussehen:

Der unwissende Kandidat hat zunächst das grüne Kästchen gewählt und der Moderator hat das rote Kästchen geöffnet, weil er ja weiß, dass sich in dem gelben Kästchen der Schatz befindet.

Danach fragt der Spielleiter den Spieler, ob er wechseln möchte. Der aber bleibt bei seiner ersten Entscheidung und verpasst den Gewinn. Hätte er nur umgewählt!

Wirklich interessant wird dieses Spiel erst, wenn man ein Experiment daraus macht: Das Spiel wird mehrfach wiederholt und dokumentiert. Je größer die Anzahl der Wiederholungen ist, umso deutlicher wird nach dem Gesetz der großen Zahl, dass beim Umwählen sich die Gewinnwahrscheinlichkeit verdoppelt. Dazu legt man eine Tabelle mit vier Spalten an, in der festgehalten wird:

  1. Umwahl des Kandidaten: Ja oder Nein
  2. Kandidat gewinnt: Ja oder Nein

Es wird sich die Tendenz zeigen, dass in dem Fall, dass der Kandidat umwählt, er in etwa zwei Drittel dieser Spiele gewinnt, aber in den Fällen, in denen er es nicht tut, nur in etwa einem Drittel aller Fälle gewinnt. Somit verdoppelt sich seine Gewinnchance, wenn der Spieler umwählt. Ein Ergebnis, das viele Beobachter zunächst stutzig macht. Ist doch die Wahrscheinlichkeit bei zwei Kästchen, das mit dem Schatz oder das mit dem grässlichen Insekt zu ziehen, gleich groß.

Tatsächlich zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeiten für Gewinn oder Niete gleich sind, wenn man die Entscheidung “Umwahl oder nicht.” durch reinen Zufall treffen lässt, z.B. durch einen Münzwurf.

Es gibt jetzt in der Mathothek noch weitere vier farbige Kästchen, in denen sich hässliche Insekten befinden. Damit lässt sich das Experiment dahin abändern, dass der Spieler aus insgesamt sechs Kästchen eins auswählen muss, in dem er den Schatz vermutet. Danach öffnet der Spielleiter alle Kästchen mit Nieten bis auf eines sowie natürlich das Schatzkästchen und stellt dann dem Spieler die Frage, ob er bei seiner ersten Entscheidung bleiben möchte oder umwählen will. Auch hier sollte man dann experimentieren und die Ergebnisse dokumentieren. Dieses zweite Experiment macht den mathematischen Hintergrund ein Stück plausibler.

Aber wie sieht nun das “Ziegenproblem” unter mathematischen Gesichtspunkten aus?

Wir betrachten dazu den Fall mit den drei Kästchen. Bei der ersten Wahl gilt es auszuwählen zwischen dem Kästchen mit dem Schatz (KS) und zwei Kästchen mit einer Niete (KN1) und (KN2). Bei der zweiten Frage gibt es ein Kästchen mit Schatz (KS) und eines mit einer Niete, und zwar (KN1), falls der Kandidat zuerst (KN1) ausgewählt hat, oder (KN2), wenn der Kandidat zuerst (KN2) ausgewählt haben sollte. Im ersten Fall hat der Moderator zwangsläufig (KN2) geöffnet und der Kandidat kann bei der zweiten Frage nur noch von (KN1) nach (KS) umwählen oder bei (KN1) bleiben. Im zweiten Fall hat der Moderator logischerweise (KN1) geöffnet, der Kandidat kann somit nur von (KN2) nach (KS) oder bei (KN2) bleiben.

Der Spieler gewinnt, wenn er zufällig folgende Entscheidungen trifft:

  1. Zuerst für (KS), dann für (KS)
  2. Zuerst für (KN1), dann für (KS) Umwahl!
  3. Zuerst für (KN2), dann für (KS) Umwahl!

Der Spieler verliert, wenn er zufällig folgende Entscheidungen trifft:

  1. Zuerst für (KS), dann für (KN1), bzw. für (KN2) Umwahl!
  2. Zuerst für (KN1), dann für (KN1)
  3. Zuerst für (KN2), dann für (KN2).

Wir sehen nun anhand dieser Übersicht aller gleich wahrscheinlichen Möglichkeiten, dass Gewinn und Niete gleich wahrscheinlich sind, wenn rein zufällig entschieden wird, ob umgewählt wird oder nicht. Nehmen wir aber an, dass konsequent umgewählt wird, – betrachten also nur die fettgedruckten Fälle – so gewinnt der Spieler in zwei Fällen und verliert nur in einem Fall. Also ist die Behauptung oben richtig: Mit Umwählen beträgt die Wahrscheinlichkeit für Gewinn 2/3 und für Niete 1/3, also verdoppelt sich seine Gewinnchance, wenn der Spieler seine Entscheidung revidiert.

Wenn Du Lust hast, versuche auch das auf sechs Kästchen erweiterte Spiel entsprechend zu untersuchen. Überlege Dir dazu, dass es in der ersten Runde fünf Möglichkeiten gibt, eine Niete zu ziehen und nur eine Möglichkeit, den Schatz zu treffen. Bei einer Umwahl ist es dann umgekehrt.

Eine weitere Einkleidung für das “Ziegenproblem” in der Mathothek besteht aus drei kleinen schwarzen Zylindern mit je einem roten, gelben oder blauen Band sowie einem “Edelstein”.  Hier ist der Edelstein der Gewinn, die drei Zylinder ersetzen die drei Kästchen. Nachdem der Edelstein unter einem der Zylinder versteckt worden ist, wählt der ahnungslose Kandidat den Zylinder, unter dem er den Stein vermutet. Analog zum Ziegenproblem hebt der Moderator einen leeren Zylinder hoch und gibt dem Spieler die Möglichkeit der Umwahl. Danach werden die anderen zwei Zylinder gelüftet, das Spiel ist entschieden.

Wie so oft können nicht ausdrücklich erwähnte Zusatzbedingungen oder stillschweigend angenommene Voraussetzungen zu verschiedenen Lösungsansätzen und Antworten führen. So wird zum Beispiel beim “Ziegenproblem” natürlich angenommen, dass Ziege und Auto später nicht noch einmal den Platz wechseln oder die Verteilung von beiden Ziegen und Auto wirklich zufällig erfolgt oder dass das Moderatorenverhalten keinen manipulativen Charakter aufweist.

Daraus folgt, dass man sich zuerst über relevante Zusatz- und Nebenbedingungen informiert, ehe man sich um eine mathematische Lösung der Aufgabe bemüht.

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