Negativ und positiv gekrümmte Flächen, exponentielles Wachstum – Gehäkelte Mathematik

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Eine Kiste, die den überraschten Beobachter wahrscheinlich an den Anblick einer unterseeischen Korallenlandschaft oder an sehr bunte interessante Pilze erinnert, aber voller faszinierender, bunter und gekräuselter Häkelarbeiten ist. Zwischen den wuchernden farbigen Objekten befinden sich auch noch zwei gehäkelte kleine bunte Bälle.

Und was hat das jetzt mit Mathe zu tun?

Es handelt sich um Veranschaulichungen zweier nicht-euklidischer Flächen, und zwar um Beispiele für hyperbolische und elliptische Flächen. Dabei sind die Darstellungen hyperbolischer Flächen besonders exotisch.

Versuche, Modelle für hyperbolische Flächen aus Papier herzustellen, waren nicht befriedigend. Da kam die aus Finnland stammende Mathematikerin Daina Taimina Cornell University 1997 auf die Idee, solche Modelle zu häkeln.

Dagegen sind die beiden kugelförmigen Häkelobjekte den meisten Betrachtern nicht oder nicht ganz neu: aus bunten Garnen gehäkelte kleine Bälle, und zwar als Modelle für elliptische Flächen. Unter dem Namen Hacky Sack waren solche kleinen gehäkelten Bälle, die meistens mit Sand gefüllt waren, vor einigen Jahren sehr in Mode.

Wie könnte nun ein Bewohner einer euklidischen, elliptischen oder einer hyperbolischen Ebene erkennen, auf welcher Art Ebene er sich bewegt, wenn er keine Chance hat, einen entsprechenden Blick von außen auf seine Lebenswelt zu nehmen? Der große Mathematiker Carl Friedrich Gauß hat hier eine Lösung des Problems gefunden. Er ging natürlich von der gewohnten euklidischen Ebene aus und von der bekannten Bestimmung des Umfangs eines Kreises. Der Umfang eines Kreises, das sind alle Punkte dieser Ebene, die von einem bestimmten Punkt (Mittelpunkt) denselben Abstand besitzen, hat die Länge U=d⋅π, ist also gleich dem Produkt von Durchmesser mal der Kreiszahl π.

Wählt man sich nun auf einer elliptischen Ebene einen Punkt als Kreismittelpunkt und einen Durchmesser d, so würde der beschränkte Beobachter feststellen, dass sein Kreisumfang kleiner als d⋅π ist. Dieser Sachverhalt wird auf dem „Hacky Sack“ gut anschaulich. Würde der Bewohner einer hyperbolischen Ebene das Gleiche tun, so stellte er fest, dass unter seinen Füßen der Kreisumfang größer als d⋅π wäre. Kurz zusammengefasst heißt das:

  • Euklidische Ebene – Krümmung der Fläche ist Null – U= d⋅π
  • Elliptische Ebene – Krümmung der Fläche ist positiv – U‹d⋅π
  • Hyperbolische Ebene – Krümmung der Fläche ist negativ – U›d⋅π

Diese Definition stammt von einem der drei Entdecker der nicht-euklidischen Geometrien: Carl Friedrich Gauß, einem der ganz großen Mathematiker des 19. Jahrhunderts. Jahrhunderte gab es immer wieder Beweisversuche dafür, dass das sogenannte Parallelenpostulat aus den anderen Axiomen von Euklid, z.B. zwei verschiedene Punkte lassen sich immer durch eine und nur eine Gerade verbinden, zwei verschiedene Geraden besitzen höchstens einen gemeinsamen Punkt, zu beweisen sei. Diesen Versuchen war kein Erfolg beschieden, alle Bemühungen enthielten Fehler. Gauß ging nun von der Vermutung aus, dass dieser Ansatz falsch sei und das Parallelenpostulat unabhängig von den anderen euklidischen Axiomen. So entstanden zwei alternative Geometrien, die elliptische und die hyperbolische. Das nur in der euklidischen Geometrie gültige Parallelenpostulat besagt, dass es zu jeder beliebigen Geraden g und jedem beliebigen Punkt A, der nicht auf dieser Geraden liegt, eine einzige Gerade h gibt, die parallel zu g ist und durch A geht. Die elliptische Geometrie beruht auf allen Axiomen, die auch in der euklidischen Geometrie gültig sind. Nur statt des Parallelenpostulats gilt, dass es für alle Geraden g und Punkte A, die nicht auf g liegen, keine solche Gerade h gibt. In der hyperbolischen Geometrie ist das Postulat durch die zweite Alternative ersetzt, dass es zu jeder Geraden g und jedem Punkt A, der nicht auf g liegt, mehr als eine solche Gerade h gibt, die durch A geht und parallel zu g ist.

Die gehäkelten Objekte in der Holzkiste zeigen, dass die drei Axiomensysteme widerspruchsfrei sind. Es sind Modelle, in denen jeweils dieselben Axiome gültig sind, nur hinsichtlich des Parallelenpostulats verschiedene Aussagen richtig sind.

Die fast rechteckige plane Häkelfläche hat nun nicht den Zweck, die gewohnte euklidische Ebene zu veranschaulichen. Sie soll sie sogar ein Stück weit verfremden, indem man besser erfasst, was die gehäkelten Flächen von den abstrakten unterscheidet, welche Merkmale der Anschauungsobjekte unwesentlich sind, z.B. das Maschenmuster, die Farbe, die Garnstruktur usw.

Die auf der rechteckigen Fläche gestickte Motiv stellt das euklidische Parallelenpostulat dar: Die dunkelblaue Gerade und die beiden Punkte mit derselben Farbe sind gegeben, die orange und die gelbe Gerade sind die in der euklidischen Geometrie immer existierenden Parallelen.

Die gekräuselten Objekte sind auch beeindruckende Veranschaulichungen für das exponentielle Wachstum. Beim ersten Modell wächst die Maschenanzahl bei jeder Runde um den Faktor 3/2, beim zweiten um den Faktor 9/8 und beim letzten Beispiel um den Faktor 2, d.h. bei jeder Runde verdoppelt sich die Anzahl der Maschen. Die Exponate machen das rasante Wachstum exponentielle Wachstum im doppelten Wortsinn „begreifbar“. 

Auch in der Natur gibt es Flächen mit hyperbolischem Charakter. Beispielsweise kann die tolle Blüte der interessanten Gartenpflanze Celosie zur Veranschaulichung einer hyperbolischen Ebene dienen.

Aber ebenso, allerdings nicht so farbig, können dies auch gewisse Kakteen, wie z.B. dieser:

In der Mathothek gibt es noch weitere Exponate, die gehäkelt sind. Besonders schön und interessant sind Möbiusbänder, so auch eines ohne Naht und ein anderes mit Reißverschluss.

Aber es gibt auch noch andere anschauliche Modelle für hyperbolische Ebenen in der Mathothek. So gibt  es in der Mathothek ein Modell der hyperbolischen Ebene, das der kanadisch-britische Mathematiker H. S. M. Coxeter konstruiert hat:

Der Mathematiker und Künstler M. C. Escher hat sich, angeregt durch eine solche Darstellung des Mathematikers Coxeter, in seinen Arbeiten zur Unendlichkeit und hyperbolischen Ebene mit entsprechenden künstlerischen Darstellungen beschäftigt:

Wie eine solches Bild einer hyperbolischen Ebene durch eine Zentralprojektion einer Halbkugel entsteht, lässt sich in der Mathothek mithilfe einer in einem 3D-Drucker erzeugten Halbkugel und einer Taschenlampe demonstrieren. Für das Gelingen des Experiments muss die Lichtquelle sich möglichst genau im Mittelpunkt des Kreises der Halbkugel befinden.

Ein Kommentar zu “Negativ und positiv gekrümmte Flächen, exponentielles Wachstum – Gehäkelte Mathematik

  1. Sandra Kallabis

    Hallo!

    Ich hätte bitte gern die Anleitungen zu diesen tollen Häkelmodellen, um Es nachzuhäkeln!!!

    Wäre das möglich?

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