Kreativität bei Mosaiken und Legespielen – Ein möglicher Zugang zur klassischen Moderne in der Kunst?

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Was haben die beiden folgenden Objekte gemeinsam? Und was trennt sie?

Nun in beiden Fällen handelt es sich um rechteckige Bilder, die mit farbigen Quadraten ohne Lücken oder Überlappungen ausgefüllt sind.

Dabei ist das obere Bild die Abbildung eines weltberühmten Bildes vom Beginn der abstrakten Malerei: Piet Mondrian, Rasterkomposition 8, Schachbrett mit dunklen Farben, 1919. Mondrian suchte zunehmend nach einer Malerei, die frei von Subjektivität sein sollte, mit dem Ziel, die Essenz der Natur und realen Umgebung abstrakt sichtbar zu machen. Dieser Weg, weg von allen Assoziationen der umgebenden Wirklichkeit, führte schrittweise hin zu Regelmäßigkeit, Klarheit und Reinheit. Das Ringen um die Ablösung von der sichtbaren Welt führte Mondrian zu seinen äußerlich ungegenständlichen Gitterbildern, Raster- und Farbfeldkompositionen. So auch zum obigen berühmten Beispiel.

Das zweite Bild zeigt ein „Legespiel“ aus der Mathothek, ebenfalls mit Quadraten lückenlos belegt und ohne Überschneidungen. Die Farben Rot, Blau, Gelb und die Mischfarbe Grün leuchten intensiv. Das entspricht dem Geschmack der Kinder, dieses Exponat mitgestaltet haben. Alle Quadrate dieses Bildes sind farbig angemalte kleine gleich große Holzwürfelchen oder aus vier bzw. neun oder sechzehn solchen Würfelchen zusammengesetzte Quadrate. Die wirkliche Herausforderung dieses „Spiels“ besteht aber in der Aufgabe, dass sich nirgends zwei der Quadrate derselben Farbe mit ihren Kanten berühren dürfen.

Bei dem nächsten Objekt handelt es sich ebenfalls um ein Legespiel. In diesem Falle stehen zwei geometrische Formen zur Verfügung, nämlich rechtwinklige Dreiecke und passende kongruente Parallelogramme in verschiedenen harmonierenden Farben zur Verfügung. So haben die „Künstler“ nicht nur die Aufgabe, den vorgegebenen Quadratrahmen mit den beiden Formen zu füllen, sondern frei die Farbverteilung zu wählen. Außerdem lassen sich auch räumliche Effekte erzielen. Somit handelt sich hier um ein Objekt, dass der Kreativität des „Künstlers“ einerseits einige feste Regeln vorgibt, aber für die Platzierung der Elemente und die farbige Gestaltung des gesamten Bildes noch nahezu unendlich viele Möglichkeiten gibt.

Und worum handelt es sich hier?

Man sieht auch hier wieder ein großes Quadrat, das aus 6×6 gleich großen kleinen Quadraten aufgebaut ist. Man erkennt, dass diese kleinen weißen Quadrate mit einer oder zwei schwarzen geraden Linien durchzogen sind. Nach weiterem Hinsehen entdeckt man, dass es insgesamt sechs verschiedene Muster schwarzer Linien auf den Quadraten gibt. Und diese Entdeckung führt uns zur richtigen Erkenntnis der Entstehung und dem Hintergrund dieser Kunstwerke: Hier ist der Würfel mit seinen sechs Seiten im Spiel! Er hat die Reihenfolge der Motive dieses Bildes festgelegt. Klare Vorgaben einerseits und purer Zufall andererseits schaffen Kunst.

Dieses kleine Kunst-Experiment in der Mathothek entstand nach einer Ausstellung von Werken der Künstlerin Ingrid Hornef in Wiesbaden. Ihre besondere Idee für diese konstruktiven Kunstwerke führten zu dem obigen Exponat in der Mathothek.

Auch das nächste „Legespiel“ in der Mathothek kann sicher auch dem einen oder anderen Besucher der Mathothek einen Weg zu moderner Kunst bieten:

Hier war Anregung und Vorbild ein konstruktivistisches Gemälde von Richard Paul Lohse (1902 – 1988) mit dem Titel: Zwei und zwei gleiche Farbgruppen. 1965/69. Öl auf Leinwand. 60x60cm.

Zunächst entstand auch hier wieder ein Legespiel aus gleich breiten Rechtecken mit zwei Farbgruppen aus je zwei Farben. Die aus dünnem Holz gefertigten Rechtecke sind Vielfache der kleinen kongruenten Rechtecke und füllen wieder das gegebene Quadrat aus. Die obige Abbildung gibt die Anordnung von Lohses Gemälde wieder. Es sind aber auch viele andere Lösungen des Legespiels in der Mathothek möglich und somit auch interessante Anregungen für Interpretationen des Bildes.

Betrachtet man das Bild von Lohse genauer, so fällt einem eine bestimmte Flechtstruktur auf. Diese kann man mit einem weiteren Experiment der Mathothek genauer verstehen:

Auch dieses Exponat lässt uns erkennen, welche tiefen Verbindungen zwischen Kunst – hier der bildnerischen – und Mathematik bestehen: Der Künstler ist frei in seiner Wahl der Farben, in ihrer Kombination usw., hat er sich aber beispielsweise einmal für die Flechtwerkstruktur entschieden, so ist er durch die Mathematik gebunden.

Manche Besucher der Mathothek stellen, nachdem sie sich eine Weile in der Mathothek umgesehen haben: „Das ist wohl ein Kunstraum?“ Aber das stimmt natürlich so nicht. Trotzdem zeigt diese Reaktion, dass die vielen mathematischen Exponate, Experimente und Spiele der Mathothek ihre große Anziehungskraft auch ihrer ästhetischen Gestaltung verdanken. Und damit auf die Tiefe des Zusammenhangs zwischen Mathematik und Kunst verweisen.

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