Tag der offenen Mathothek
Am Samstag, dem 5. Mai 2018 ist die Mathothek für alle Interessierten wieder von 11.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Eintritt: Nur etwas Begeisterungsfähigkeit, Neugierde und Spieltrieb.
Besonderes Tagesangebot:
Schönheit in unendlicher Wiederholung
Wohl seit jeher haben den Homo sapiens nicht nur die notwendigen Herausforderungen des harten Alltags beschäftigt, sondern auch die Ästhetik der Dinge, die er herzustellen lernte. Es war der Blick auf die ihn umgebende Natur, der seinen Sinn für Schönheit und Ebenmaß förderte. Zu diesem Bereich gehört ganz sicher auch die Fähigkeit, Symmetrien und Muster zu sehen, Schritte in Richtung Abstraktion und Geometrie zu gehen. Gerade diese Fähigkeit des Menschen, Muster und Symmetrie zu erkennen, helfen ihm nicht nur, die Welt überschaubarer zu machen, besser zu verstehen und zu meistern, sondern sie bildet auch eine Grundlage für die Entwicklung seines Schönheitssinnes. Zwei vorgeschichtliche Kulturen haben ihre Namen – Schnur- und Bandkeramiker – nach den von ihnen als Schmuck auf ihren Töpferwaren verwendeten typischen Bandornamenten erhalten. Als Beispiel mag das kleine Gefäß mit dem zierenden Bandornament dienen.
Die Wiederholung eines Motivs in einer gleichbleibenden Reihung, die somit noch die Assoziation von Unendlichkeit weckt, spiegelt sicher die Erfahrung des Menschen zu allen Zeiten wieder, dass vieles in der Natur periodisch wiederkehrt: Tag und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Generationen, Bewegungen von Sonne, Mond und Sternen, Freuden und Leiden, Geburt und Tod und viele Beobachtungen mehr.
Durch das Sehen von solchen Mustern und Symmetrien und auch ihre symbolische Darstellung versuchte der Mensch vermutlich seine Angst und Furcht vor dem Chaos zu zähmen. In den allermeisten Religionen und Mythen spiegelt sich dieser Kampf wider. Letztlich führte dieser Weg – auch über Aberglauben und Magie und schließlich durch die Aufklärung – zu unserem naturwissenschaftlichen Weltbild.
Was aber die Band- und Schnurkeramiker wohl noch nicht wussten: Mathematisch gesehen gibt es nur sieben Typen von Bandornamenten! Diese Behauptung abstrahiert natürlich von Farben, Linien und konkreten Motiven. Sie bezieht sich nur auf die Symmetrieeigenschaften des Bandornaments.
Die wesentliche Symmetrie eines Bandornaments entsteht durch die Verschiebung (=Translation) eines Motivs in eine Richtung. Falls keine weitere Symmetrie mehr auftritt, handelt es sich um den einfachsten Typ. Es können nun noch andere Symmetrien auftreten: Achsensymmetrie (Spiegelung an der Verschiebungsachse oder an deren Orthogonalen), Punktsymmetrie (an einem Punkt auf der Verschiebungsachse) und die seltener bekannte Gleitspiegelung (das Motiv wird an der waagrechten Achse gespiegelt und um die halbe Strecke verschoben, das Bild wieder gespiegelt und verschoben). Die mathematischen Gesetzmäßigkeiten gestatten nun nur die sieben möglichen Typen von Bandornamenten. In der Mathothek gibt es zwei erklärende Übersichten zu dieser Typisierung.
In der Mathothek gibt es eine Sammlung von Zierbändern und Borden, bei denen alle sieben Typen mehrfach vertreten sind, eine Menge Kärtchen, mit denen sich alle möglichen Bandornamente legen lassen sowie weitere interaktive Objekte zum Experimentieren und weitere Anschauungsobjekte. So gibt es auch ein Beispiel für eine Gleitspiegelung in der Natur: eine Efeuranke! Aber auch die Herstellung eines Bandornaments mit Hilfe eines Ringes auf weicher Knetmasse lässt sich nachvollziehen. Durch dieses Experiment wird der Zusammenhang der Symbolik von Kreis und Gerade für die Unendlichkeit verständlich.
So führt die mathematische Analyse letztlich auf dem oben beschriebenen Weg – Erkennung von Mustern – dazu, das abstrakte Muster hinter einer unendlichen Menge von Bandornamenten zu erkennen und die erschlagende Fülle auf sieben zu reduzieren.
Ein wichtiger Grundsatz der Mathothek ist es: „Wer immer nur nach dem Zweck der Dinge fragt, wird ihre Schönheit nie entdecken.“