Jeden Tag sehen wir unzählige Räder, die sich drehend fortbewegen. Würde man aber gefragt, welche Kurve ein willkürlich gewählter Punkt auf einem solchen sich bewegenden Kreis beschreibt, so wäre wohl zumeist ein Kreis die Antwort. Nicht ganz falsch, aber dann würde die Bewegung des Rades auf dem Untergrund vergessen. Um eine gewisse erste Vorstellung von der gesuchten Kurve zu bekommen, kann man mit einem Modell eines Minitraktors erste Beobachtungen anstellen:
Bei der Fahrt von links nach rechts beschreiben der weiße Punkt am Hinterrad und der rote am Vorderrad jeweils mehrere solcher Kurven, die sich bei der Fortsetzung der Fahrt dann regelmäßig wiederholen. Einen anderen sehr schönen und erklärenden Zugang zu dieser Art Kurven ermöglicht ein weiteres Exponat der Mathothek:
In dieser flachen Holzkiste sind verschiedene Objektgruppen aus verschiedenen Zeiten und Materialien und von unterschiedlichen Herstellern vereint, mit denen man spielerisch ganz verschiedene mathematische Figuren zeichnen kann. Man nennt diese Kurven Zykloiden, Radlinien oder auch Rollkurven.
Zykloiden entstehen, wenn man einen Kreis auf einer Geraden abrollt. Wenn das geschieht, beschreibt ein mit der Kreisscheibe starr verbundener Punkt eine Kurve, die man in der Mathematik und Technik als Zykloide bezeichnet. Je nachdem, wo dieser mit der Kreisscheibe fest verbundene Punkt sich befindet, unterscheidet man drei Grundtypen von Zykloiden:
Befindet sich der die Zykloide beschreibende Punkt
- im Inneren der Kreisfläche, so spricht man von einer gestreckten Zykloide
- auf dem Kreisrand, so spricht man von einer spitzen Zykloide
- außerhalb des Kreises, so spricht man von einer verschlungenen Zykloide.
Statt auf einer geraden Linie kann man einen Kreis auch auf einem zweiten festen Kreis abrollen lassen. Die so entstehenden Kurven nennt man Epizykloiden.
Lässt man einen Kreis im Inneren eines festen Kreises abrollen, so nennt man die entstehende Linie eine Hypozykloide.
Das älteste Set aus verschieden großen Kreisen, die wie entsprechende Zahnrädchen mit unterschiedlichen kleinen Löchern in der Kreisfläche gestaltet sind, und Geraden mit entsprechenden Zähnchen ist besonders reichhaltig und erlaubt eine riesige Menge von Experimenten, die verschiedensten Zykloiden zu zeichnen. Die Wertschätzung, die dieses Spirograph genannte Spielzeug besaß, erkennt man daran, dass in der langen Zeit seiner Existenz nur ein einziges der vielen Rädchen verloren ging.
Auf den großen qualitativen Unterschied zwischen dem originalen Spirographen den heutigen Angeboten muss man nicht eigens hinweisen.
Was die Haltbarkeit und Präzision betrifft, dürfte das Set aus drei Messing-Zahnrädchen in verschieden Größen, zwei gezähnten Messing-Stangen und einem sehr feinen Drehbleistift sein.
Es gibt aber in der Mathothek noch ein weiteres Experiment, bei dem die Zykloide eine zentrale Rolle spielt, nämlich bei der Bestimmung des schnellsten Weges von A nach B.
Die Brachistochrone ist die Bahn zwischen einem Anfangs- und einem gleich hoch oder tiefer gelegenen Endpunkt, auf der ein sich reibungsfrei bewegender Massenpunkt unter dem Einfluss der Gravitationskraft am schnellsten zum Endpunkt gleitet. Der Tiefpunkt der Bahn kann tiefer liegen als der Endpunkt.
Das Problem bei diesem Objekt ist, dass die Strecke zu kurz und das exakt gleichzeitige Loslassen der beiden Kugeln praktisch kaum zu schaffen ist. Aber man sieht auf jeden Fall, dass die Kugel auf der gekrümmten Bahn offensichtlich nicht länger braucht, als die Kugel auf der kürzesten Bahn.