Die Weihnachtspyramide – Geschichtliches, Ideologisches und Mathematisches in einem Exponat der Mathothek

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Diese schöne Weihnachtspyramide habe ich vor ein paar Jahren auf dem Mainzer Flohmarkt bei 30° im Schatten gefunden und erworben. Sie war noch in ihrer Originalverpackung und unbenutzt. Längere Zeit lag sie so verpackt in der Mathothek. Dann wurde sie ausgepackt und aufgebaut. Niemand fiel dabei etwas auf, sie drehte ihre Runden und ließ Besucher die Wirkung der von den brennenden Kerzen erzeugten warmen Luft nachvollziehbar erkennen.

Erst viel später fiel mir auf, dass keine Maria und kein Josef, kein Ochs und kein Esel in der Nähe standen, aber vor allem kein göttliches Kindlein in der Krippe lag. Die Krippe war mit Tierfutter gefüllt, die Tiere waren zarte Rehe und die Bäume keine Palmen, sondern heimische Nadelbäume. Zwar wurden in der Tradition des Erzgebirges, in der die weihnachtlichen Pyramiden mithilfe von Drechseln, Schnitzen und Laubsägearbeiten seit dem Mittelalter hergestellt wurden, neben christlichen Motiven auch einheimische Vorbilder aus Wald und Bergbau verwendet, aber eine Darstellung der Weihnachtsgeschichte ganz ohne Geburt des Gotteskindes ließ mich doch erstaunen. Ich vermute, dass es sich hier um eine Weihnachtspyramide aus der DDR handelt und war wohl als Geschenk an Westdeutsche geschickt worden. Vielleicht als Dank für westdeutsche Produkte, die damals im Osten sehr begehrt und dort kaum angeboten wurden, beispielsweise Kaffee. Ich erinnerte mich an Aktionen, als wir klassenweise solche Weihnachtspäckchen als Schüler gepackt und in die „Ostzone“ geschickt hatten, z.B. nach Hoyerswerda. Die DDR versuchte damals ideologisch, den christlichen Hintergrund von Weihnachten zu unterdrücken und entsprechend der sozialistischen Ideologie umzudeuten.

Offensichtlich haben die westdeutschen Empfänger das traditionell schön gearbeitete und auch mathematisch und physikalisch interessante Gegengeschenk erst gar nicht ausgepackt. Nach vielen Jahren Dornröschenschlafs hat die Weihnachtspyramide mit der Krippe ein ganzjährigen Platz in der Mathothek erhalten. Schade ist nur, dass ich damals ziemlich gedankenlos der Verpackung keine gebührende Aufmerksamkeit gewidmet habe.

Die völlig ideologiefreie Funktionsweise der Weihnachtspyramide ist jedoch gut zu erkennen. Dazu werden hier drei Kerzen benutzt, die in die Metalltellerchen gesteckt und angezündet werden. Nach kurzer Zeit beginnt sich die Pyramide langsam zu drehen. Grund dafür ist die von den Kerzenflammen erwärmte und daher aufsteigende Luft. Durch die regelmäßige Schrägstellung der Flügel des Flügelrades bewirkt die aufsteigende Luft dessen Drehbewegung. Durch die feste Verbindung des Flügelrades mit einer senkrechten Welle (Stab oder Achse) drehen sich dann auch die beiden kreisförmigen Teller, die wiederum mit der Welle fest verbunden sind, mit den auf ihnen befestigten Figuren. Bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen lassen sich dann mit Verstellungen der Flügel (flacher oder steiler) deren Wirkung auf die Bewegung – Schnelligkeit und Drehrichtung – der Pyramidenteller herausfinden.

Nicht so interessant ist das aus einer Abfalltonne gerettete kleine Weihnachtsobjekt, das aus dünnem Metall gestaltet wurde. Auch hier wird  ebenfalls mit der warmen Luft einer Kerzenflamme ein Flügelrad in eine Drehbewegung versetzt. Das Objekt landete wohl deswegen im Müll, weil zwei der sechs an den Flügeln hängenden Rentiere fehlten. Nach der Entfernung eines weiteren Rens war das Gleichgewicht wiederhergestellt und das Objekt für die Mathothek geeignet.

Keinen Bezug zu Weihnachten, aber zum „Flügelrad“ hat die sog. Lichtmühle. Bei ihr sind die vier Flügel auf einer Seite silbern-reflektierend und auf der anderen Seite schwarz absorbierend. inzwischen weiß man, dass es nicht die Photonen oder Lichtteilchen sind, die durch Reflexion oder Adsorption das Flügelrad zum Drehen bringen, wie es einmal angenommen wurde, sondern durch die stärkere bzw. geringere Erwärmung.

In der Mathothek gibt es noch weitere Exponate für die Verwendung von Flügelrädern, z.B. als Schiffsschrauben oder Rotoren zum Fliegen. Typisch für alle Flügelräder ist ihre drehsymmetrische Gestaltung und keine vorhandene Spiegelsymmetrie.

Während bei der Weihnachtspyramide die aufsteigende warme Luft das stationäre Flügelrad bewegt, bewegt der von einem Motor angetriebene Propeller ein Flugzeug durch die umgebende Luft nach vorne, entsprechend bewegt eine Schiffsschraube ein Schiff durch das umgebende Wasser. Das rot-gelbe Objekt veranschaulicht das Prinzip eines Hubschraubers und ist ein beliebtes Kinderspielzeug. Mit dem Mechanismus im Inneren des gelben Griffs wird der Rotor in eine schnelle Drehbewegung versetzt und steigt dadurch in der Luft nach oben.

Seit sehr langer Zeit gibt es in vielen Kulturen die Technik, mithilfe der Windkraft oder fließendem Wasser und einem Flügelrad Energie zu gewinnen und Arbeit zu verrichten: Mühlrad und Windmühle. Bei einem Mühlrad oder auch Wasserrad handelt es sich um eine Wasserkraftmaschine. Sie nutzt die kinetische oder potenzielle Energie des Wassers, um Generatoren zur Stromgewinnung oder andere Arbeitsmaschinen anzutreiben. Bei Windmühlen oder Windrädern wird die kinetische Energie des Windes umgewandelt, so bei Windkraftanlagen in elektrische Energie und in ein Stromnetz eingespeist. Diese riesigen „Weihnachtspyramiden“ haben natürlich in unserer Zeit der Umstellung auf klimaneutrale Stromgewinnung Konjunktur, da sie von der „größten Kerze“ in unserem Sonnensystem und den von ihr verursachten Bewegungen der Erdatmosphäre angetrieben werden. Da die Winde parallel zum Boden wehen, müssen die Flügelräder natürlich möglichst senkrecht zur Windrichtung sein. Es hat sich herausgestellt, dass Flügelräder mit drei Flügeln im Hinblick auf die Effektivität optimal sind.

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