Vermutungen mithilfe einer Waage – Wie schwer wiegen Beweise?

Wie können wir helfen?

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In der Mathothek gibt es zwei Waagen: Eine ist sehr genau und alt, die andere ist Marke Eigenbau und nicht sehr genau. Beide Waagen sind Balkenwaagen, d.h. sie vergleichen die Massen zweier Körper mithilfe eines sehr einfachen und verständlichen Prinzips.

Welche Rolle spielt eine einfache Balkenwaage nun aber im Zusammenhang mit mathematischen Vermutungen und strengen Beweisen? Im ersten Falle eine brauchbare und praktische und im zweiten Falle gar keine. Wir betrachten einige Beispiele, die in der Mathothek zur Verfügung stehen.

 Nimmt man die fünf aus gleichem Sperrholz gemachten Quadrate, dann sind die drei kleineren zusammen genauso schwer wie die beiden größten. Die Seitenlängen der Quadrate betragen 9cm, 10cm, 11cm, 12cm, 13cm und 14cm. Aus dem Ergebnis des Wiegens vermuten wir, dass 102+112+122=132+142 gilt.

Mit etwas Rechenaufwand lässt sich das natürlich bestätigen. Ob es noch andere fünf aufeinanderfolgende Quadratzahlen mit dieser Eigenschaft gibt, lässt sich wohl kaum mithilfe der Waage herausfinden. Dazu gehen wir den mathematischen Weg mit Variablen. Dass eine einzige Variable ausreichend ist, liegt daran, dass die fünf gesuchten Zahlen die Quadrate von fünf aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen sein sollen. Somit stellen wir die folgende Ausgangsgleichung auf: x2+(x+1)2+(x+2)2=(x+3)2+(x+4)2. Mithilfe der 1. binomischen Formel erhalten wir daraus 3x2+6x+5=2x2+14x+25, daraus durch Vereinfachung die Gleichung x2-8x-20=0. Diese gemischt-quadratische Gleichung besitzt die Lösungen x1=4+6=10 und x2=4-6=-2. Da -2 keine natürliche Zahl ist, ist sie keine Lösung für unser Problem. Ergebnis nur die Zahlen 10, 11, 12 und 13, 14 erfüllen unsere Bedingung.

Die oben gezeigten drei Quadrate (gelb, rot und blau) sind wieder aus dem gleichen Sperrholz hergestellt. Dabei passen sie mit ihren Kanten zu einem rechtwinkligen Dreieck (weiß).

Mit unserer Waage können wir beobachten, dass die beiden Kathetenquadrate (gelb und rot) zusammen soviel wiegen wie das Hypotenusenquadrat (blau), also die Vermutung aufstellen, dass bei einem rechtwinkligen Dreieck die beiden Quadrate über den Katheten zusammen denselben Flächeninhalt haben wie das Quadrat über der Hypotenuse. Diese Vermutung lässt sich beweisen und heißt dann Satz des Pythagoras. Keine noch so präzise Waage und noch so genaues Messen liefert keinen Beweis, dass kann nur auf der logischen Basis einer stringenten mathematischen Argumentation geschehen. Das macht, dass die Mathematik keine Naturwissenschaft ist. 

Der große blaue Kreis hat einen Durchmesser, der der Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks (weiß) entspricht und die Durchmesser der beiden kleinen Kreise (gelb und rot) entsprechen den beiden Kathetenlängen.

Beim Wiegen stellen wir fest, dass der Hypotenusenkreis genauso schwer ist wie die beiden Kathetenkreise zusammen, also die Vermutung: Wenn die Durchmesser dreier Kreise ein rechtwinkliges Dreieck bilden, dann haben die beiden Kathetenquadrate zusammen denselben Flächeninhalt wie das Hypotenusenquadrat. Was sich mithilfe der Flächenberechnungsformel eines Kreises und dem Satz des Pythagoras beweisen lässt.

Im Gefolge des Satzes von Pythagoras gibt es noch einige Objekte, bei denen man durch Wiegen zu beweisbaren Vermutungen kommen kann, z.B. die Möndchen des Hippokrates.

Ein weiterer Wiegevorgang kann eine Vermutung über den Zusammenhang von Radien und Flächeninhalten verschieden großer Kreise liefern. Der Radius des großen Kreises ist doppelt so groß wie der des kleinen Kreises.

Die Waage zeigt ein Gleichgewicht von vier kleinen Kreisen und einem großen Kreis. Da alle Kreise gleich dick und aus demselben Sperrholz bestehen, liegt die Vermutung nahe, dass die Flächeninhalte von vier (=22) kleinen Kreisen zusammen soviel sind wie ein Kreis mit doppelt so großem Radius sind. Diese Vermutung und Verallgemeinerungen davon lassen sich dann auch mathematisch beweisen.

Besonders lohnend ist die Aufgabe, mithilfe von Holzkörpern eine Formel zur Berechnung des Volumens einer Pyramide zu finden. Aus dem gleichen Holz bestehen ein Würfel und drei Pyramiden. Würfel und Pyramiden haben die gleichen Grundflächen (a2) und Höhen (h). Ein Vergleich mit der Waage zeigt, dass die drei Pyramiden zusammen so schwer sind wie der Würfel. Also vermuten wir die Formel VPyramide=1/3⋅VWürfel, d.h. VPyramide=1/3⋅a3.

Durch eine entsprechende mathematische Argumentation mithilfe des Prinzips von Cavalieri lässt sich diese Vermutung als richtige Formel beweisen. Die an dem speziellen Beispiel gemachte Beobachtung lässt sich zu einer allgemeinen Vermutung erweitern, dass das Volumen einer beliebigen Pyramide 1/3 des Volumens eines Quaders beträgt, falls beide die gleiche Grundfläche und die gleiche Höhe besitzen. Ein Beweis ist eine solche analoge Verallgemeinerung eines ganz speziellen Falles natürlich nicht, aber eine sinnvolle Vermutung und mit einem logisch korrekten Beweis wird daraus eine wichtige geometrische Formel.

Als Nächstes könnte man nun auch vermuten, dass es eine ähnliche Beziehung zwischen den Volumina von Kegel, Zylinder und Kugel gibt. Durch Gewichtsvergleich stößt man auf die Vermutung, dass drei solcher Kegel dasselbe Volumen haben wie der entsprechende Zylinder und zwei Kegel das Volumen der entsprechenden Kugel. Es sei dabei angenommen, dass Kegel, Zylinder und Kugel denselben Radius und Kegel und Zylinder dieselbe Höhe haben. Alles muss anschließend streng logisch bewiesen werden.

 Auch der Zusammenhang von Radien und Volumina bei verschieden großen Kugeln lässt sich mit der Waage spielerisch als Vermutung herausfinden. Ist beispielsweise der Radius der größeren Kugel 2-fach so groß wie der Radius der kleineren Kugel, so wiegen acht (=23) der kleineren Kugeln so viel wie die große. Beträgt der Radius der größeren Kugel das Dreifache der kleinen, so muss man 27 kleine Kugeln in die Waagschale legen, um das Gleichgewicht zur großen Kugel zu erreichen. Mit einer kleinen Schublehre lässt sich der Durchmesser und damit der Radius der Kugeln messen und mit der Waage wieder ihr Volumen, weil alle Kugeln aus festem Buchenholz hergestellt wurden.

 

Die grünen Sperrholzformen: Es sind zwei kongruente Kreisscheiben und ein Rechteck. Dazu kommt noch ein rechtwinkliges Dreieck, das durch die diagonale Teilung des Rechtecks entstanden ist, sind die Zutaten zu einem besonders interessanten Experiment in der Mathothek. Mit dem Rechteck und den zwei Kreisen ist anscheinend eines der größten Probleme aus der Vergangenheit der Mathematik spielend gelöst: Die Quadratur des Kreises! Gemeint ist das Problem, mit den konstruktiven Mitteln der euklidischen Geometrie – Zirkel und Lineal (ohne Skala) – einen Kreis in ein flächenmäßig gleichgroßes Quadrat zu verwandeln. Zu diesem Vorgehen von Flächenverwandlungen gibt es in der Mathothek eine ganze Reihe von Exponaten.

Da das Rechteck genauso viel wiegt wie zwei Kreise, muss die Hälfte des Rechtecks denselben Flächeninhalt besitzen wie der Kreis. Bleibt nur noch die Konstruktion des Rechtecks zu klären. Die kurze Seite entspricht dem Radius des gegebenen Kreises. Für die Länge ist kein offensichtlicher Zusammenhang zu finden, allerdings für die Diagonale: Durch Abrollen lässt sich vermuten, dass die Diagonale dem Umfang des Kreises entspricht. “Abrollen” ist aber keine exakte geometrische Konstruktion.

Benutzen wir die Mittel der Mathematik und schreiben das beobachtete Ergebnis von vorhin auf. Wir bezeichnen den Radius des grünen Kreise mit r, seinen Umfang mit U dann erhalten wir wegen der experimentell  festgestellten Flächengleichheit von Kreis und Rechteck die Gleichung 2⋅r2⋅π=U⋅r. Weil für den Kreisumfang U=2⋅r⋅π gilt, erhalten wir die Gleichung 2⋅r2⋅π=2⋅r⋅π⋅r, also eine offensichtlich richtige Gleichung. Trotzdem ist unser Experiment keine akzeptable Lösung der Quadratur des Kreises, weil die Umwandlung des Kreisumfangs in eine gleichlange Strecke nur durch Näherungsverfahren geschehen kann und die irrationale Kreiszahl π sich nicht umgehen lässt. Unsere “Lösung” des Kreisproblems lässt sich natürlich auch mit dem grünen Dreieck und einem grünen Kreis demonstrieren.

Alle diese Beispiele zeigen, Beweise sind die Überführungen von irgendwie gefundene Vermutungen in die menschliche Sammlung der “ewigen Wahrheiten der Mathematik”. Für beides braucht es Erfahrungen, Wissen und Kreativität. Während es für das Finden einer Vermutung keine verbindlichen Regeln gibt, ist der Beweis an die Gesetze der Logik gebunden.

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