Die Kettenlinie – eine „natürliche“ Kurve und ein stabiler Bogen

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Ob Wäscheleine, Absperrkette, Bespannung eines Liegestuhls, Hundeleine – wenn das Frauchen „Sitz!“ gesagt hat und der Hund gehorcht – oder edle Perlenkette um den Hals des Herrchens oder eines mehr oder weniger flachbrüstigen Menschen, jedes Mal sehen wir, wenn ein freier Fall der Kette zwischen den beiden befestigten Enden gegeben ist, einen schönen symmetrischen Schwung, einen harmonischen Bogen nach unten.

Das ist auch bei dieser Holzperlenkette so. Aber mit ihr lässt sich auch ein stabiler Bogen zaubern, indem wir die Perlen mithilfe der sie verbindenden Schnur fest aneinander drücken und dann die Kette nach oben drehen:

Dieses Wissen, dass eine nach oben gedrehte Kettenlinie den stabilsten Bogen liefert, ist seit der Antike bekannt. Aber auch in der Neuen Welt nutzte man diese Kenntnis beim Bau des Tors zum Westen, dem Gateway Arch in St. Louis, Mississippi/USA:

Wie muss eine Bahn, Straße oder Fläche beschaffen sein, um darauf einen Würfel so rollen zu lassen, dass sich seine Achse dabei nicht hebt oder senkt? Nun das unten gezeigte Objekt der Mathothek zeigt den Weg zur Lösung:

Es handelt sich hier um Bodenwellen in der Form von umgekehrten Kettenlinien, die immer in derselben Größe parallel nacheinander folgen. Steht der Würfel senkrecht auf der Spitze, so fügt er sich in die spitze Rille des Untergrunds. In waagrechter Lage liegt er mittig mit seiner unteren Fläche auf dem Scheitel der Welle. Nur in diesem Fall könnte sich  der Würfel auf dieser besonders gestalteten Fläche rollen, ohne dass sich seine Achse hebt oder senkt.

Bei dem folgenden Objekt der Mathothek erwartet man auf der ersten Blick, dass das „Papamobil“ sich wie oben beschrieben verhält. Aber es ruckelt spürbar. Woran liegt das ?

Dieser wellenartige Untergrund sieht zwar zunächst gleich aus, aber das Profil wird diesmal nicht aus gleichen Stücken einer Kettenlinie, sondern durch Aneinanderreihung von gleichen Halbkreisen gebildet. Zwar sind diese Halbkreise hier ganz gute Annäherungen, aber doch keine Kettenlinien.

Auch zwischen einer Kettenlinie und einer Parabel gibt es Ähnlichkeiten.

Zwei Beispiele für Parabeln. Parabelrechner und Wasserstrahlen bei einem Springbrunnen.

Auch wenn ein erster Blick die Ähnlichkeit von Kettenlinie und Parabel vermuten – ja als das Gleiche erscheinen lässt – so sind diese beiden mathematischen Kurven doch grundlegend verschieden. Der Unterschied wird umso deutlicher, je „größer“ die beiden Kurven werden. Nur in einem kleineren Bereich um den Scheitelpunkt ist eine gewisse Ähnlichkeit zu sehen. Der Unterschied liegt darin, dass eine Kettenlinie viel schneller wächst bzw. fällt als die Parabel.

Nicht weit entfernt von der Mathothek befindet sich eine ca. ein halbes Jahrhundert altes Gotteshaus, die Heilig-Geist-Kirche:

Der damalige Architekt scheint von den Möglichkeiten des Betons und dieser besonderen mathematischen Kurve fasziniert gewesen zu sein. Aber von welcher, der Parabel oder der Kettenlinie? Nach einer kleinen Broschüre der Heilig-Geist-Kirche handelt es sich wohl um die Parabel. Sie erinnert so ausgerichtet an den Schutz eines Gewölbes, zwei betende oder auch schützende Hände. Die Besonderheiten der umgekehrten Kettenlinie – stabilster Bogen – macht aber fast noch mehr Sinn. Neben dem statischen Vorteil dieser Konstruktion ergeben sich auch keine negativen Aspekte der Kettenlinie gegenüber der Parabel hinsichtlich der theologischen Deutungen. Vielleicht stecken ja beide Kurven in den Betonformen: Die Dicke der Betondecken verdeckt vielleicht eine Kettenlinie und eine Parabel. Bei den hier vor uns stehenden, relativ kurzen Kurvenausschnitten könnte der Unterschied zwischen Parabel und Kettenlinie im Beton verdeckt und beide Kurven vereint sein.

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