Das Sexagesimalsystem – Vom sumerischen Zahlsystem und einer besonderen Binäruhr

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Sicher hast Du Dich auch schon in Deiner Kindheit oder auch später gewundert, dass eine Stunde in 60 Minuten und eine Minute in 60 Sekunden unterteilt sind, also eine Stunde 3600 Sekunden besitzt. Diese Einteilung der Zeitdauer verwundert uns umso mehr, je vertrauter und selbstverständlicher uns unser sonst überall anzutreffendes Dezimalsystem geworden ist. Später erfahren wir in der Schule, dass auch in der Geometrie dieses Sechzigersystem oder Sexagesimalsystem bei der Winkeleinteilung und nicht das vertraute Zehnersystem benutzt wird. So wird der Kreis in 360° und damit ein rechter Winkel in 90° unterteilt.

Diese erstaunliche Abweichung vom sonst so weltweit erfolgreichen Dezimalsystem ist ein über 6000 Jahre altes Erbe, das uns von den geometriebegeisterten griechischen Mathematikern vermittelt und von einer der ältesten Hochkulturen der Menschheit, den Sumerern in Mesopotamien, entwickelt wurde. Sie waren mit den Ägyptern auch die Erfinder der Schrift. Ihre Keilschrift haben sie aus ihrer ursprünglichen Bilderschrift entwickelt. Im Gegensatz zu den alten Ägyptern schrieben sie nicht auf Papyrus, sondern mit Keilen in weichen Ton oder Lehm. Für das Schreiben ihrer Zahlen benutzten sie zwei Zeichen: einen senkrechten, schmalen „Nagel“ und ein waagrechtes, rechtwinkliges, offenes Dreieck. Für die Mathothek habe ich zwei solcher babylonische Tontäfelchen nachempfunden, und zwar mit einem Inhalt, der den Sumerern sicher schon bekannt war:

Erstes Täfelchen:

In der gesamten linken Spalte sowie in den ersten drei Zeilen der zweiten Spalte sind nur „Nägel“ zu sehen. Das lässt uns vermuten, dass es sich links um die natürlichen Zahlen von 1 bis 7 handelt und in der rechten Spalte erkennt man dann weiter, dass es sich bei den ersten drei Zahlen um die zugehörigen Quadratzahlen handelt. Diese Vermutung hilft einem dann auch mit der Deutung der vierten Zeile weiter. Der „Pfeil“ oder das „Dreieck“ muss wohl für zehn „Nägel“ (=Einer) stehen, denn 42=16 und bestätigt damit unsere Vermutung. Nehmen wir also an, dass unsere Interpretation richtig ist, dass ein „Pfeil“ zur Vereinfachung für jeweils zehn „Nägel“ geschrieben wurde, so können wir auch die nächsten drei Zeilen verstehen: Es handelt sich um 25(=52), 36(=62) und 72(=49). Bei der Deutung der zweiten Tafel tritt dann ein neues Problem auf und damit auch die Erkenntnis: Die Sumerer benutzten bereits ein Stellenwertsystem! 

In der ersten Zeile vermutet man jetzt, dort 82=64 zu finden, aber wir sehen als Ergebnis fünf „Nägel“. Das macht aber überhaupt keinen Sinn. Das Ganze bekommt jedoch seine Richtigkeit, wenn wir davon ausgehen, dass der linke „Nagel“, der ja einen etwas größeren Abstand zu den anderen vier „Nägeln“ besitzt, für 60 steht. Mit dieser Erkenntnis können wir nun auch die nächste Zeile lesen: 92 ergibt 60+2⋅10+1=81. Korrekt! 102=1⋅60+4⋅10=100. Schließlich können wir auch die vorletzte Zeile entziffern, und zwar natürlich als 132=2⋅60+4⋅10+3⋅1=163.

Erst sehr viel später haben die Babylonier auch die Schwäche dieses Zahlsystems erkannt und durch ein neues Zeichen notiert, wenn eine Grundzahl (Einer, Sechziger, 3600er usw.) nicht vorhanden war. So wie wir es in unserem Dezimalsystem mit der Null machen. Ursprünglich konnte ein „Nagel“, der alleine stand, 1, 60, 3600(=602), 603, 604 usw. bedeuten. Die Antwort musste man aus dem Zusammenhang erschließen.

Die antiken griechischen Mathematiker übernahmen mit dem Wissen der Babylonier über Astronomie und Geometrie begeistert auch das so leistungsfähige Sexagesimalsystem, das ihrem eigenen Zahlensystem weit überlegen war. Von ihnen wurde es dann auch an das erwachende Abendland weitergegeben und hat sich so im Bereich von der Winkel- und Zeitmessung bis heute erhalten, trotz aller Versuche, auch hier das inzwischen siegreiche Dezimalsystem durchzusetzen.

In der letzten Zeile steht eine recht große Zahl in Keilschrift, deren Entzifferung zeigt, dass Du dieses Zahlsystem so weit verstanden hast und beweist, dass dieses Objekt nicht antik ist, aber dieser Artikel auch kein Fake.

An der folgenden Uhr, die Zeit abzulesen, macht fast allen Besuchern der Mathothek Probleme:

Was für eine Darstellung der Zahlen verbirgt sich hinter dieser elektrischen Uhr in der Mathothek, wenn sie hier die Zeit 4 Uhr, 20 Minuten und 42 Sekunden zeigt?

Leichter wird das Ablesen der Uhrzeit, nämlich 3 Uhr, 2Minuten und 41 Sekunden, wenn man sich das folgende Foto mit der Beschriftung anschaut:

Es gibt hier eine durchaus interessante Verbindung zu dem sumerischen Zahlsystem, und zwar nicht nur durch die von der Verwendung des Sexagesimalsystems in der Bestimmung von Zeitpunkt und Zeitlänge, sondern auch in der Darstellung der Zahlen: Es handelt sich hier zunächst um Binärzahlen. Ein hell leuchtender Punkt stellt eine 1 dar, ein dunkler eine 0. Eigentlich brauchte man jetzt nur drei Spalten, nämlich für die Zahl der Sekunden, die Zahl für die Minuten und die Zahl für die Stunden. Solche Binäruhren sind am weitesten verbreitet. Für die Anzeige der Stunden benötigt man dann fünf Stellen, bzw. Lichtpunkte, für Minuten und Sekunden jeweils sechs. Das System unserer Binäruhr kommt unseren Gewohnheiten entgegen, indem hier jeweils die Angabe von Sekunden, Minuten und Stunden in die getrennte Anzeige von Zehnern und Einer getrennt werden. Im obigen Beispiel sind es 0 Zehner und 3 Einer bei den Stunden, 0 Zehner und 4 Einer bei den Minuten und 4 Zehner und 1 Einer bei den Sekunden. Es wird zusätzlich zum Binärsystem auch noch das Dezimalsystem genutzt. Deswegen werden die Stunden, Minuten und Sekunden in jeweils zwei Spalten dargestellt: In der linken Spalte werden in binärer Form die Anzahl der Zehner angegeben und in der rechten werden die Anzahl der Einer binär angezeigt. So zeigt diese besondere Uhr auf dem obigen Bild drei Stunden, zwei Minuten und 41(= 40 Sekunden plus 1 Sekunde) an, also ist es 3 Uhr, 2 Minuten und 41 Sekunden.

Kannst Du auf den beiden Fotos die Zeit ablesen?

Links: 4:20:35 Uhr Rechts: 4:24:49 Uhr

Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht immer wiedermal das Wort ein Dutzend gehört oder auch benutzt hätte. Aber kaum jemand weiß noch, dass „ein Dutzend Dutzende“, d.h. 12⋅12=144, früher auch ein Gros genannt wurden. Hier handelt es sich im Ansatz um ein Stellenwertsystem mit der Basiszahl 12. Im Alltag war dieses System durchaus gut geeignet. Es hatte den Vorteil, dass seine Basis durch 2, 3, 4 und 6 teilbar war und nicht nur durch 2 und 5, wie es in unserem vertrauten Dezimalsystem der Fall ist. Wollte man das Zwölfersystem so erweitern, dass das neue  Zahlsystem auch noch durch 5 teilbar ist, so erhält man als das kleinste gemeinsame Vielfache von 2, 3, 4, 5, 6, 10 und 12 die Zahl 60. Und das ist die Zahl, die wir bereits als Grundzahl aus anderen Gebieten gut kennen: Zeitpunkt und Zeitspanne im Alltag sowie Winkelmessung in der Geometrie, ein ca. 6000 Jahre altes Erbe aus der Entstehungszeit der ersten Hochkulturen der Menschheit im Gebiet des Goldenen Halbmonds, zu dem auch das Zweistromland Mesopotamien mit den beiden Flüssen Euphrat und Tigris gehörte.

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