Dass wir einerseits die Fibonacci-Folge in der Natur antreffen und sie andererseits auch in der Kunst verwenden, bedeutet einmal ihre unabhängige Existenz vom Menschen, der sie aber entdecken, verstehen und definieren muss, um sie dann in ihrer symbolischen Bedeutung bei seinem Kunstschaffen einzusetzen.
Was haben nun Tannenzapfen und Ananasfrüchte gemeinsam?
Beide haben sie eine schuppige, strukturierte Erscheinung. Das ist aber noch nicht besonders interessant, sondern erst die regelmäßige Gesetzlichkeit stellt den mathematischen Zusammenhang her. Bei beiden sind die Schuppen in Spiralen angeordnet, und zwar in zwei gegenläufigen kongruenten Spiralen. Um das bei den Tannenzapfen besser erkennbar zu machen, gibt es in der Mathothek einige bearbeitete Beispiele.
Eine Spirale ist stellvertretend für alle parallelen Spiralen rot und eine aus der Menge der gegenläufigen Spiralen blau angemalt worden. Wenn man dann alle parallelen Spiralen jeder der beiden Mengen zählt, so erhält man als Anzahlen zwei hintereinander auftretende Zahlen der Fibonacci-Folge! Bei dem Pinienzapfen sind es fünf und acht. Bei dem Fichtenzapfen sind fünf (rot), acht (blau) und auch noch 13 (gelb) als Anzahlen der parallelen Spiralen zu entdecken, d.h. sogar drei Fibonacci-Zahlen zu entdecken.
Auf dem folgenden Foto sind weitere Zapfen und Früchte zu sehen, die farbige Markierungen besitzen, um dem Besucher der Mathothek das Auffinden und Zählen der Spiralen zu erleichtern.
Auch bei Kakteen und Sukkulenten sind solche schuppig-spiralige Strukturen und dann auch Fibonacci-Zahlen zu finden, und zwar auf Fotos immer und meistens auch auf der Fensterbank.
Spiralige Anordnungen findet man auch bei Blütenkörben in der Anordnung ihrer Einzelblüten und später ihrer Früchte vor, deren Spiralzahlen ebenfalls mit Paaren von Fibonacci-Zahlen übereinstimmen. Hier sind an erster Stelle die Sonnenblumen zu nennen, bei großen Sonnenblumen sind es beispielsweise 34 und 55. Aber auch bei Distelblüten treten Fibonacci-Zahlen auf.
Auch die Verteilung und Anordnung der Blätter einer Pflanze an ihren Stängeln weist oft einen Bezug zum goldenen Schnitt auf, genauer zur Fibonacci-Folge als deren Näherungen. Der Vorteil einer solchen Anordnung der Blätter dürfte darin liegen, dass die Lichtausbeutung optimiert wird, im Vergleich zu einer Anordnung bei der Blätter sich übereinander befinden.
Wie das folgende Bild Stammbaum der Drohne Willy zeigt, treten Fibonacci-Zahlen auch im Tierreich auf. Bei der Honigbiene ist es so, dass eine Drohne, also eine männliche Biene aus einem unbefruchteten Ei entsteht und somit nur das Erbgut der Mutter, der Königin, trägt. Eine Königin aber das Erbgut einer anderen Königin und einer Drohne besitzt, sie also Vater und Mutter hat. Schon steht die Fibonacci-Folge wieder auf der Bühne: In der ersten Elterngeneration von Willy (1) gibt es 1 Biene, in der zweiten 2, in der dritten 3, in der vierten 3 usw.
Die wohl bekannteste Verwendung der Fibonacci-Folge, aufgrund deren diese Zahlenfolge überhaupt ihren Namen bekam, befindet sich in dem Buch Liber Abaci von Leonardo von Pisa (Fibonacci) aus dem Jahre 1202. In ihm stellte der Kaufmann und Mathematiker die Frage nach der Vermehrung eines einzigen Kaninchenpaares bei idealisierten Bedingungen.
Die zugrunde gelegten Bedingungen waren,
1. dass jedes Paar erst im zweiten Monat wiederum ein Pärchen zur Welt bringt
2. von da an jedes Jahr von nun an monatlich ein weiteres Pärchen zeugt
3. kein Kaninchen abhaut, stirbt oder von außen dazukommt
Das Ergebnis sieht bei sechs Monaten bei diesen besonderen Bedingungen dann so aus, wie es durch ein Exponat der Mathothek zu sehen ist.
Durch diesen idealisierten Wachstumsprozess wurde diese schon viel früher belegte Folge bekannt.
Vielleicht gibt es einen noch ungeklärten Zusammenhang der Vorliebe der Menschen für das Verhältnis des goldenen Schnitts und die Proportionen der Zahlen der Fibonacci-Folge, der noch nicht erforscht ist, wenn man bedenkt, dass auch in der DNA des Menschen die Fibonacci-Zahlen auftreten. Eine Veranschaulichung der menschlichen DNA und den Zahlen 13, 21 und 34 zeigt das folgende kleine Objekt.
Mit einer Nachschöpfung des Bildes Fibonacci meets Pythagoras von Eugen Jost werden in ästhetischer Form der Satz des Pythagoras und die Zahlen der Fibonacci-Folge in Form einer bunten Spirale vereint.
Dieses Bild zeigt mathematisch korrekt die Verwendung der Fibonacci-Folge und die Anwendung des Satzes von Pythagoras. Der Beginn einer im Prinzip unendlichen Spirale ist hier auch intuitiv erfahrbar. Das Wesentliche der symbolischen und chiffrenhaften Bedeutung der Fibonacci-Folge wird in diesem Bild fassbar, es geht um das Wachstum, das das Heute auf dem Gestern aufbaut und die Brücke zum Morgen schafft, so wie in der Fibonacci-Folge ein Glied nicht nur die beiden Vorgänger beinhaltet, sondern auch mit dem direkten Vorgänger den Nachfolger formt und mit diesem zusammen dann auch die nächste Generation schafft. Nichts in der Kultur und der Natur ist ohne die vergangene Basis und ohne Auswirkung auf die Entwicklung der Zukunft.
Hier soll es beispielhaft um den Künstler Mario Merz (1925-2003) und zweier seiner Arbeiten gehen, die lange Zeit im Wiesbadener Museum einen Raum füllten (Bild), der aber leider inzwischen geräumt worden ist. Mario Merz ist einer der hervorragendsten Vertreter der Arte Povera-Bewegung und setzte in den 1970er-Jahren in vielen seinen Werken die Zahlen der Fibonacci-Folge ein. Mit dieser Folge wollte er das Wachsen von Kultur und Gesellschaft symbolisieren. Auch die zeitgenössische Kunst ist die Summe der vorhergehenden Kunst. Er nutzte diese Zahlenfolge als Symbol für Wachstum und Fortpflanzung, als Ausdruck seiner Überzeugung, dass Natur, Zahlen und Kunst zusammenhängen, dass Zahlen und Wirklichkeit gepaart sind und dass der mathematisch-evolutionäre Wachstumsprozess der Fibonacci-Folge dem kulturell-zivilisatorischen entspricht. Die der Folge verwandte Spirale galt ihm als fast magisches Urzeichen für die Weiterentwicklung allen Lebens, dessen Urquelle der Iglu für ihn war. All das spiegelt auch die durchaus optimistische Stimmung des Geistes seiner Zeit wider. Merz verwendete in seinen Arbeiten die verschiedensten Materialien, wie Neonröhren, Äste, Lederhäute, Zeitungen.
Die beiden im Wiesbadener Museum ausgestellten Arbeiten von Mario Merz sind
- Gambe che corrono (1967/80) Eine Mischtechnik auf grobem Leinen, Neonzahlen, Weidenruten
- Spiraltisch mit Iglu (1988/95) Eisen, Glas, Blütenblätter, Schwefel, Aluminium, Weinreben(Beschnitt), Neonzahlen
Die Fibonacci-Folge spielt natürlich auch in der Architektur eine bedeutende Rolle. Es geschieht allerdings sehr oft unter dem Namen des goldenen Schnitts, für den ja die Fibonacci-Folge beliebige Näherungen liefert. Durch Nachmessen lässt sich aber nicht entscheiden, ob die Proportion eine zweier benachbarter Fibonacci-Zahlen oder dem goldenen Schnitt entspricht. Als Beispiel sei hier auf die Fassade des Alten Rathauses von Leipzig verwiesen.
Der Turm teilt, wenn man sich auf die sechs Giebel bezieht, die Fassade im Verhältnis 1:2. Bezieht man sich aber auf das Haupttor, dann weist die Teilung (aufgrund der Konstruktion) vermutlich eine solche im goldenen Schnitt auf.
Bei künstlichen Nachbildungen von, zum Beispiel, Zapfen treten meist keine Paare von Fibonacci-Zahlen auf. Auch bei anderen Benutzungen von Spiralmustern ist das meistens der Fall.