Das Schachspiel ist unter den strategischen Spielen das, was die Orgel unter den Instrumenten ist. Das Spiel der Spiele wird auch das königliche Spiel genannt. Tatsächlich wurden vom Herrscher und Anführer strategische Fähigkeiten erwartet, die ja auch Grundlage dieses alten Spieles sind.
Folglich gibt es – natürlich dem Status des Besitzers entsprechend – edle Figuren und Spielbretter. Auch in der Mathothek befindet sich ein schönes Schachbrett aus zwei verschiedenen Hölzern mit alten Figuren.
Jedes Schachbrett ist mit acht Reihen und mit acht Quadraten gestaltet. Da nie zwei Quadrate mit derselben Farbe aneinanderstoßen dürfen, sehen alle Schachbretter gleich aus und besitzen 32 helle und 32 dunkle Felder.
Ein solches Spiel mit seinem Regelwerk ist ein reines Strategiespiel, bei dem nichts dem Zufall überlassen werden sollte. Niemand kennt die Entstehung und Geschichte des Schachspiels. Vermutlich ist es schon sehr alt und – wie es die Sprache und die Bezeichnungen nahelegen – aus dem militärischen Bereich entstanden. Natürlich entstehen dann auch Phantasien und Legenden. So hat am Ausgang des 18. Jahrhunderts ein französischer Mathematiker eine Legende zur Entstehung in die Welt gesetzt, der man gerne Glauben schenkt. Nach dieser Geschichte schenkte der Erfinder des Schachspiels sein Spiel seinem Herrscher. Dieser war völlig fasziniert und stellte ihm als Dank einen Wunsch frei. Der Erfinder wünschte sich sehr, ja zu bescheiden, kein Gold und keine wertvollen Edelsteine, auch keine Macht und kein Land, sondern nur Reiskörner. Dem Herrscher erschien der Wunsch nicht nur äußerst bescheiden, sondern angesichts der ausgeklügelten Erfindung ziemlich kindlich.
Der Herrscher kam aber aus dem Staunen nicht mehr heraus, als er seinen gelehrten Beratern den Wunsch des bescheidenen Mannes genau nannte: Er wünschte sich für das erste Feld 1 Reiskorn, für das zweite Feld 4 Reiskörner, für das dritte 8, das vierte 16 und für jedes weitere Feld jeweils das Doppelte des vorherigen Feldes.
Mathematisch lassen sich die gewünschten Anzahlen Reiskörner des Bescheidenen für die 64 Felder so beschreiben: Es liegen auf dem nten Feld die doppelte Anzahl wie auf dem (n-1)ten. Die Zahlenfolg beginnt mit n=0 und endet mit n=63. Damit lässt sich die Summe der gewünschten Reiskörner für die 64 Felder so ausdrücken:
1+2+22+23+24+…+262+263
Erst als seine Gelehrten dem Herrscher mitteilten, dass diese Summe an Reiskörnern weit mehr sei als eine ganze Welternte an Reis sei, erkannte der das Genie des Schachspielers ganz.
Wir Heutigen können uns diese Mengen so versuchen zu veranschaulichen: Der Beitrag des 16. Feldes entspricht ungefähr 1 kg Reis und der des 55. Feldes einer heutigen Welternte an Reis.
Wieviel Reiskörner hat sich der geniale Erfinder nun insgesamt gewünscht?
Hier hilft uns die Sprache der Mathematik. Bezeichnen wir die Gesamtsumme an Reiskörnern mit s, so gilt s=264-1. Dass können wir so einsehen:
s=1+21+22+23+…+262+263 und
2s=2⋅(1+22+23+…+262+263)=2+23+24+…+263+264.
Subtrahieren wir jetzt 2s-s, so erhalten wir
s=264-1.
Die Zahl lautet 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 73 Milliarden, 709 Millionen, 551 Tausend und 615.
Dieses Wachstum von Zahlen einer Folge durch Verdoppelung hat es tatsächlich in sich. Die Zahlen werden immer schneller immer größer, weil die zu verdoppelnde Zahl ja immer größer wird. Ein anderes Exponat der Mathothek zeigt diese Art des exponentiellen Wachstums durch Verdopplung ebenfalls sehr deutlich. Jeder Stab ist doppelt so lang wie sein linker Vorgänger:
Man bezeichnet dieses Wachstum als exponentielles Wachstum. Leider gibt es in der Nutzung unseres Planeten Erde viele Prozesse, die mit exponentiellem Ansteigen einhergehen. Deswegen lohnt es sich, sich mit diesen mathematischen Erkenntnissen auseinander zusetzen: Ungebremstes exponentielles Wachstum und grundsätzlich begrenzte Ressourcen müssen in der Katastrophe führen. Ohne die dem Menschen gegebene Vernunft einerseits und Kreativität andererseits wird die menschliche Spezies den Kampf gegen die Natur und die Realität verlieren. Auch die nächsten Bilder von Objekten aus der Mathothek zeigen einige Stufen von exponentiellem Wachstum:
Bei den oberen beiden Beispielen – die in einem anderen Artikel über exponentielles Wachstum behandelt werden – handelt es sich um Häkelarbeiten mit verschiedenen Vervielfachungen der Maschen. Bei dem zweiten Arbeit wurde die Maschenzahl jeweils verdoppelt. Im unteren Bild ist ein Kaktus zu sehen, der exponentiell wächst.
Von der Künstlerin Rune Mields gibt es in der Mathothek einen Katalog von einer Ausstellung im Gießener Mathematikum, die ihr gewidmet war. Darunter ist auch ein spezielles Bild zur Schachlegende: