Was der Wehrturm von Dausenau und der Torre pendente di Pisa gemeinsam haben – Schräge Vergleiche in der Mathothek

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In der Buchhandlung Angermann in der Wiesbadener Altstadt fand ich nicht nur den kleinen Globus, dessentwegen ich mich am späten Nachmittag auf den Weg gemacht hatte, sondern auch den kleinen „Schiefen Turm von Pisa“, und zwar als Puzzle der Firma Ravensburger. Dessen Teile waren gleichmäßig gerundet und die Bauanleitung gut zu verstehen. So war mit ein wenig Geschick der „Torre pendente di Pisa“ zum „Begreifen“ fertig.

Aber das war noch kein hinreichender Grund dafür, ihn in die bereits überquellende Sammlung der Mathothek aufzunehmen. So bekam das Puzzle auch noch ein Lot verpasst – das ich ein paar Geschäfte weiter in einem Antiquitätengeschäft in der Form einer Traube entdeckte – um die Neigung des Turmes zur Senkrechten zu veranschaulichen:

So zeigt die Mathothek ganz offen und kostenlos, was beim Original in Pisa erst nach bezahltem Eintritt im Inneren des schiefen Turmes zu sehen ist, nämlich ein frei aufgehängtes Lot.

Die Grundsteinlegung des freistehenden Glockenturms erfolgte 1173. Bereits 12 Jahre danach begann sich der Turmstumpf nach Südosten zu neigen. Nach einem Dornröschenschlaf von 100 Jahren versuchte man mit einem geringeren Neigungswinkel beim Bau der nächsten vier Stockwerke gegenzusteuern. Erst 1372 wurde auch das Glockengeschoss vollendet.

Nach den letzten Sanierungsarbeiten beträgt die Auslenkung der Spitze 3,9m bei einer Höhe von 55,8m, somit beträgt die Schieflage des Turmes etwas weniger als vier Grad.

Hätte man nicht auf einem Untergrund gebaut, der aus lehmigem Morast und Sand besteht und sich somit durch das Gewicht des Baues verformt, wäre der für den Dom von Pisa geplante Campanile nicht so berühmt geworden.

Der viel ältere griechische Mathematiker Pythagoras hat mit seinem nach ihm benannten Satz nicht auf Sand gebaut, denn er gilt heute noch und wird auch in Zukunft nicht widerlegt werden. Das gilt auch für die in der Schule kostenlos angebotenen Winkelfunktionen. Hier hast Du eine gute Gelegenheit Dein Schulwissen wiedereinmal anzuwenden.

Was hat nun aber der alte Wehrturm von Dausenau an der Lahn in Rheinland-Pfalz mit dem „Torre Pendente di Pisa“ zu tun? Nun, er ist auch ein „Torre Pendente“, vielleicht sogar der schiefste Turm der Welt. Eine Messung im Jahr 2003 ergab für den Turm von Dausenau eine Schieflage – also eine Abweichung von der Senkrechten – von 5,22 Grad, also mehr als ein Grad mehr als beim Turm von Pisa.

Ursprünglich war der Wehrturm etwa 25 Meter hoch. Er war notwendigerweise erbaut worden, als Dausenau zur Stadt ernannt wurde. Da seine Schräglage im 19. und 20. Jahrhundert immer größer wurde, musste man sein Mauerwerk 1950 ein Stück abtragen, so dass heute seine Höhe mit 16.39m angegeben wird. Die Ursachen für die Schieflage in Dausenau liegen z.T. in baulichen Veränderungen im Umfeld des Turmes u. a. Die Veränderungen werden wissenschaftlich genau beobachtet und ausgewertet.

Kurioserweise wurde Dausenau ein Antrag auf den Titel „schiefster Turm der Welt“ im Guinessbuch der Rekorde mit der Begründung verweigert, dass es sich hierbei um eine Ruine handele.

Hier ein Bild des „schiefen“ Turms von Dausenau, das wohl aus den 1960er Jahren stammt. Es findet sich in dem schönen Buch Die Lahn von Hans Feldtkeller, das 1965 im Deutschen Kunstverlag erschienen ist.

Viel Spaß bei einer Wanderung oder gar einer Bootsfahrt an bzw. auf der wunderschönen Lahn.

Beide Objekte gibt es real und „anfassbar“. In Zeiten von Fake News und KI gibt es natürlich viele Möglichkeiten der Täuschung. Um unsere Wahrnehmung für Manipulationen möglichst resistent zu machen, gibt es in der Mathothek viele Exponate zum Thema optische Täuschungen. Sind die folgenden Bilder die Beweise für die Existenz dieser beiden „schiefen“ Gebäude auf den britischen Inseln?

Nein, natürlich nicht. Mit demselben Trick könnte man umgekehrt auch den „schiefsten“ Turm der Welt wieder ins Lot bringen:

Kaum zu glauben, erscheint am 2. September 2024 – also kurze Zeit nach Veröffentlichung des obigen Beitrags im Katalog der Mathothek – im „Wiesbadener Kurier“ ein Artikel zu einem Verkehrsproblem im Wiesbadener Dichterviertel. Ein recht großes Foto mit Unterschriftsammlern zeigt auf den ersten Blick Unerhörtes: auch in der hessischen Landeshauptstadt steht ein „Torre pendente“in der Gestalt einer Litfaßsäule. Ein Ausdruck dieses Beweisfotos – wenn es denn eines ist – ist in der Mathothek einzusehen:

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