Am Beispiel des kleinsten magischen Quadrats, dem Lo Shu, lässt sich gut erklären, was ein magisches Quadrat aus den ersten n natürlichen Zahlen magisch macht. In unserem Fall ist n=3 und die neun ersten natürlichen Zahlen werden so zu einem 3×3-Quadrat angeordnet, dass in jeder Zeile und in jeder Spalte sowie in jeder Diagonalen die drei Zahlen die gleiche Summe ergeben, in unserem Falle beträgt sie 15. Diese magische Konstante berechnet sich aus der Summe aller neun Zahlen: (1+2+3+4+5+6+7+8+9):3=15. Der Sage nach wurde vor langer Zeit dieses kleinste magische Quadrat auf dem Rücken einer Schildkröte gefunden, die aus einem chinesischen Fluss gestiegen war.
Sehr berühmt ist ein magisches 4×4-Quadrat mit den Zahlen 1 bis 16 und der magischen Summe 34. Dieses besonders symmetrische magische Zahlenquadrat hat Albrecht Dürer in seinem berühmten Kupferstich MELENKOLIA I aus dem Jahre 1514 im oberen rechten Bereich seines Bildes verwendet. Dieses Bild ist nicht so leicht zu erschließen und zu deuten. Es enthält noch weitere mathematische Objekte, so z.B. einen großen geometrischen Vielflächler und eine Kugel. Der gesamte Kupferstich wirkt melancholisch, schwermütig auf den Betrachter. Dies und natürlich auch der Titel Melenkolia weisen auf dieses Temperament hin, von denen die antiken Wissenden vier unterschieden.
Die letzte Zeile verrät uns das Entstehungsjahr 1514 und den Künstler, der dieses magische Quadrat in seinem tiefsinnig und schwermütig wirkenden Bild in seinem Kupferstich mit dem Titel MELENCOLIA I geschaffen hat: 4=Dürer und 1=Albrecht. Bilden wir die Summe 4+15+14+1=34, so haben wir die magische Konstante dieses magischen Quadrats gefunden, die durch die Summen in den anderen Zeilen und allen Spalten sowie den beiden Diagonalen bestätigt wird. Auch die vier Zahlen 9, 6, 15 und 4 im linken unteren kleinen Quadrat liefern die Summe 34, aber auch bei den drei weiteren kleinen Eckquadraten beträgt die Summe der vier Zahlen jeweils 34. Addieren wir die vier Eckzahlen des großen Quadrats 16, 13, 4 und 1 oder die Zahlen 10, 11, 6 und 7 des mittleren Quadrats: Immer erhalten wir dieselbe Zahl, die magische Konstante 34. Hat man einmal „Blut geleckt“ versucht man weitere Zahlenquadrupel mit der Summe 34 zu finden. Und man findet! Aber wie viele solcher magischen Quadrupel gibt es überhaupt in diesem magischen Quadrat von Albrecht Dürer?
Es ist keine leichte Aufgabe, denn tatsächlich gibt es in diesem Dürer-Quadrat 86 (in Worten: sechsundachtzig) solche Mengen, die aus vier Zahlen des Quadrats bestehen und deren Summe die magische Konstante 34 ergibt. Eine Auflistung dieser 86 Möglichkeiten wäre wohl doch zu gewöhnlich und würde die Faszination wohl sehr schnell in Langeweile umschlagen lassen und so den den Prinzipien der Mathothek widersprechen. So entstand die Idee für ein neues und typisches Experiment:
Natürlich faszinieren uns magische Quadrupel besonders, die mit ihren Positionen eine besonders symmetrische oder geometrische Form bilden, wie z.B. die beiden folgenden sternförmigen Gebilde:
Legt man eine transzendente Folie mit dem Dürer-Quadrat darauf, so liefern die drei Quadrate der linken Figur mit ihren Eckzahlen drei und die rechte Figur mit ihren vier Parallelogrammen vier weitere magische Quadrupel:
Die Idee der Folien wurde so zum hilfreichen Weg, um die Suche nach der Fülle der Lösungen mithilfe symmetrischer Strukturen attraktiv zu machen und auch zu erleichtern. Das folgende Beispiel zeigt, die bereits oben erkannte Tatsache, dass die Summe der vier Eckpunkte des Dürerquadrats die magische Konstante 34 ergeben:
Betrachten wir eine weitere Folie mit einem kleinen Quadrat in der Mitte, dessen vier Eckzahlen ebenfalls die magische Summe 34 ergeben:
Auch dieses kleine Quadrat liefert, wie uns bereits bekannt ist, die Summe 34. In beiden Fällen liefert uns die Folie genau eine Lösung, egal wie man die Folie dreht oder spiegelt. Das wird im nächsten Beispiel – Gott sei Dank! – anders. Mit der folgenden Folie und deren Drehungen lassen sich die vier kleinen Eckquadrate finden und überprüfen:
Ein weiteres Beispiel mit vier Zahlen, die die magische Summe ergeben und die Ecken eines Quadrats markieren:
Diese beiden Folien sind besonders fruchtbar, weil man mit ihrer Hilfe nicht nur ein magisches Quadrupel findet, sondern gleich vier, indem man die Folie um 90, 180 sowie 270 Grad dreht. Man könnte dieses Ergebnis allerdings auch durch Spiegelungen des Ausgangsquadrats an den beiden Mittelachsen und dem Mittelpunkt der Folie erhalten.
Das nächste Beispiel ist eine Folie, die nur zwei neue magische Quadrupel liefert:
Von den vier möglichen Drehungen (um 0°, 90°, 180° und 270°) liefert nur die Drehung um 90° (oder um 270°) ein weiteres magisches Quadrupel in der Form dieses Rechtecks. Die beiden anderen Drehungen liefern keine neue Lösung. Eine Spiegelung an einer der beiden Mittellinien würde hier auch die zweite Lösung bringen, während eine Spiegelung an einer der Diagonalen ebenfalls kein weiteres magisches Quadrupel liefert. Der Grund liegt an der Symmetrie der Ausgangsfigur.
Bei dem nächsten Beispiel benutzen wir wieder eine Folie mit einem „fruchtbaren“ Parallelogramm:
Zusammen mit den Drehungen um 90, 180 und 270 Grad erhalten wir insgesamt vier magische Quadrupel mit dieser Form eines Parallelogramms.
Interessant ist auch diese Folie mit dem Drachenviereck:
Diese Folie mit dem Drachenviereck liefert mithilfe einer Drehung um 180 Grad (=Punktspiegelung am Mittelpunkt der Folie) ein weiteres magisches Quadrupel. Spiegelt man die linke obere Ausgangsfolie an der senkrechten Mittellinie, so erhält man das linke untere Ergebnis und dann durch eine Drehung um 180 Grad das rechte untere Drachenviereck. Um hier also die vier möglichen magischen Quadrupel mit dieser Drachenvierecksform zu finden, muss man neben den Drehungen der Folie auch eine Spiegelung benutzen oder man braucht zwei statt einer Folie, nämlich mit einem der beiden untereinander abgebildeten Paare.
Und das um 180 Grad gedrehte Drachenviereck ist auch ein solches. Wollte man das Umwenden der Folien nicht zulassen, dann bräuchte man nicht nur hier zwei verschiedene Folien (nämlich eines der untereinander abgebildeten Paare), sondern auch in vielen anderen Fällen. Wollte man nur Drehungen zum Auffinden von magischen Quadrupeln benutzen, also keine Spiegelungen, hätte dies den Preis, die Zahl der notwendigen Folien zu erhöhen. Das wird besonders anschaulich bei dem folgenden Fall:
Um die weiteren magischen Quadrupel mit dieser Rechteckform zu finden, müsste man noch folgende Folie zusätzlich nehmen:
Durch die Drehungen um 90, 180 und 270 Grad erhielte man dann die vier weiteren magischen Quadrate:
Bei zwei weiteren Beispielen gibt es zusätzliche rote Pfeile auf der Folie, die auf eine Besonderheit hinweisen:
Die roten Pfeile zeigen, dass diese Vierecke (magischen Quadrupel) einen Bezug zum „Rösselsprung“ haben, der für jeden Schachspieler ein Begriff für die besondere Bewegungsart des Springers auf dem Schachbrett ist.
Außer den Folien mit geometrischen Objekten (Quadraten, Rechtecken, Parallelogrammen, Rauten und Drachenvierecken) gibt es noch weitere Folien, um magische Quadrupel aufzuspüren. Auch hier erhält man mit jeder Folie wenigstens zwei solcher magischen Quadrupel. Wieder helfen Drehungen und Spiegelungen. Statt Vierecke handelt es sich hier um Graphen mit roten Punkten.
Mit den folgenden Folien werden wir auf ein weiteres kennzeichnendes Merkmal eines magischen Quadrats aufmerksam gemacht: Die acht Quadrupel in den vier Zeilen und vier Spalten, aber auch die zwei Quadrupel in den beiden Diagonalen müssen die magische Konstante 34 ergeben.
Um alle die 10 magischen Quadrupel zu erhalten, muss man diese drei Folien auch noch um ihren Mittelpunkt drehen bzw. an einer ihrer Mittelachsen spiegeln.
Das folgende Beispiel zeigt einen Graphen mit vier roten Punkten, der uns einschließlich seiner Spiegelung und Drehung um 180 Grad drei weitere „Dürer-Vierer“ liefert:
Nur die folgenden drei Folien mit Graphen liefern je vier magische Summen:
Alle anderen dieser Folien liefern genau zwei magische Graphen, so wie dieses Beispiel:
Die beiden Graphen sind punktsymmetrisch oder, was auf dasselbe Ergebnis hinausläuft, eine Drehung um 180 Grad (Halbdrehung um den Mittelpunkt des Folienquadrats) liefert die zweite magische Summe in dieser Form.
Nur zwei Folien liefern trotz aller erlaubten Drehungen und Spiegelungen nur eine einzige magische Summe:
Insgesamt liefern alle anderen Folien 2, 4 oder 8 magische Quadrupel. Das ergibt sich aus den Symmetrieeigenschaften des Quadrats. Es ist nicht nur hilfreich, sondern auch faszinierend, sich bei der Suche nach den magischen Quadrupeln in Dürers Quadrat sich der Geometrie zu bedienen. Man erkennt Gesetzmäßigkeiten über die Zusammenhänge von Symmetrien und Abbildungen, so ergibt die Hintereinanderausführung zweier Achsenspiegelungen an den beiden orthogonalen Mittellinien oder den beiden Diagonalen des Quadrats dasselbe Ergebnis wie eine Drehung um den Schnittpunkt der beiden Achsen um 180 Grad oder einer Punktspiegelung am Mittelpunkt. Eine Übersicht über die acht möglichen Deckabbildungen eines Quadrats und ihre Zusammenhänge liefert eine sog. Verknüpfungstafel.
Immerhin führt somit die Nutzung von nur 29 Folien mit ihren Drehungen um 90, 180 und 270 Grad (um den Mittelpunkt) und einer Spiegelung (an einer Mittellinie oder Diagonalen) dazu, dass wir alle 86 magischen Summen im Dürerquadrat auffinden können.
Das „melancholische“ Quadrat von Dürer hat noch viele erstaunliche Eigenschaften und Geheimnisse, die zu entdecken sich lohnen:
So ergeben die Zahlen in je zwei parallelen und nicht benachbarten Zeilen oder auch in zwei parallelen und nicht benachbarten Spalten, wenn man sie quadriert und die Ergebnisse addiert, immer die Summe 748, und zwar für alle vier Möglichkeiten:
Das gilt auch für die nicht abgedeckten Zahlen der folgenden Folien. Aber für diese beiden Folien gilt auch noch, dass die 3. Potenzen dieser Zahlen, wenn man diese addiert, beide Male die Summe 9248 liefern:
Das Dürerquadrat hat eine erstaunliche weitere wesentliche Symmetrieeigenschaft: Jedes Zahlenpaar, das punktsymmetrisch zum Mittelpunkt des Quadrats liegt, ergibt die Summe 17, also die Hälfte der magischen Summe 34.
Mit diesem Wissen und dem folgenden Experiment kann man mit der verschlüsselten Vorgabe der letzten Zeile das Dürerquadrat und eine Alternative rekonstruieren.
Die Alternative unterscheidet sich von dieser Lösung nur durch die Vertauschung der zweiten und dritten Zeile.
Aber es gibt auch einen anderen Weg, wie der mathematisch sehr bewanderte große Renaissancekünstler Albrecht Dürer zu seinem magischen Quadrat gekommen sein könnte:
Zunächst schrieb er seine sechzehn Zahlen in ihrer natürlichen Reihenfolge in das leere 4×4-Quadrat:
Im nächsten Schritt spiegelte er die Zahlen der beiden Diagonalen am Mittelpunkt des Quadrats:
Im letzten Schritt musste er nur noch die zweite und dritte Spalte vertauschen, um aus der Zahl 1415 das Jahr 1514 zu machen, das Jahr, in dem er den Kupferstich MELENCOLIA I geschaffen hat. Genial!
Dieser äußerst verblüffend einfache Weg, von der natürlichen Anordnung der sechzehn Zahlen zu dem so besonderen Dürerquadrat zu kommen, fußt auf der Eigenschaft, dass beide Zahlenquadrate die symmetrische Eigenschaft besitzen, dass jede Zahl und ihre punktsymmetrisch zum Mittelpunkt des Quadrats positionierte Zahl dieselbe Summe 17 ergeben, also die Hälfte der magischen Konstanten.
Diese Symmetrieeigenschaft, dass jede Zahl und ihre Punktspiegelung als Summe 17 besitzen, bleibt bei jeder der vier oben beschriebenen Spiegelungen (Diagonalen und Spalten) erhalten.
Dürers magisches Quadrat wurde in einer Abwandlung in der Moderne noch einmal wiederbelebt: An der gewaltigen Basilika Sagrada Familia in Barcelona, die von dem spanischen Künstler Gaudí entworfen wurde, gibt es an der Passionsfassade ebenfalls ein berühmtes „magisches“ 4×4-Zahlenquadrat. Auch hierzu gibt es ein Objekt zum Mitmachen in der Mathothek:
Es handelt sich hier allerdings nicht um ein magisches Quadrat im strengen Sinne, denn es fehlen die Zahlen 11 und 16, dafür sind die Zahlen 10 und 14 doppelt vorhanden. Dadurch ergibt sich, dass man als magische Summe die Zahl 33 erhält, und zwar mehr als in 300 Variationen. Warum? Die Zahl 33 sollte auf das Alter von Christus bei seinem Tod am Kreuz und seiner Auferstehung hinweisen. Diese Zahl hatten jedenfalls theologische Gelehrte im Mittelalter herausgefunden und verkündet. Mit der Folge, dass auch alle gerechten Christenmenschen bei ihrer Auferstehung so alt sei würden. Leichter ist es einzusehen, dass dieses „magische“ Quadrat das verwandelte Dürer’sche Quadrat ist:
I. Man dreht das Gaudí-Quadrat um 180 Grad:
II. Man addiert einmal in jeder Zeile und einmal in jeder Spalte 1, sodass man wieder die Zahlen von 1 bis 16 erhält und die 34 wieder zur magischen Konstanten wird. Dabei muss man auch noch darauf achten, dass die Jahreszahl 1514 auftreten muss.
Wer mehr über oder über mehr magische Quadrate erfahren möchte, findet in der Mathothek eine Fülle an weiteren Beispielen und jede Menge interessante Hintergründe: