In der Mathematik geht es bekanntlich nicht um lustige oder traurige Geschichten. Schon gar nicht, wenn es dabei auch noch mit der Logik und der Wahrheit nicht so genau genommen wird.
Bei diesem nicht ganz so „mathematischen“ Spiel handelt es sich um ein Experiment zum Thema Wahrscheinlichkeit einerseits und die Erfindung und Gestaltung einer fantasievolle Erzählung andererseits.
Das Würfelspiel besteht aus neun Würfeln mit gezeichneten Motiven, die jeweils ein sprachliches Motiv darstellen, so beispielsweise ein schreiendes Kind, eine Richtungsänderung, einen hüpfenden Ball, eine schneidende Schere u.a. Auf jedem der neun Würfel gibt es sechs verschiedene Motive und keine zwei Würfel haben auf irgendeiner Seite dasselbe Motiv. Somit gibt es insgesamt 9⋅6=54 verschiedene Motive. Hier auf dem Foto ist ein Beispiel für ein Set von neun ausgewürfelten Bildmotiven zu sehen.
Das Spiel kann von einer Person oder mit mehreren Personen gespielt werden. Derjenige, der an der Reihe ist, nimmt alle neun Würfel und würfelt damit. Zu den nach oben zeigenden Motiven muss er nun eine möglichst stimmige Geschichte erfinden und erzählen. Dabei kann der Erzähler das Startmotiv frei gewählt werden und auch die weiteren Motive nach ihrer Brauchbarkeit für die Fortsetzung seiner Geschichte gewählt werden. Ziel ist es, der Fantasie und Kreativität freien Lauf zu lassen. Unser Gehirn denkt in Bildern und findet auch entsprechend sinnvolle Wege, um diese Bilder zu verbinden.
Man kann noch vereinbaren, dass die Geschichten alle mit „Es war einmal vor langen Zeiten“ beginnen sollen. Du kannst die neun gewürfelten Bilder auch in Gruppen für den Anfang der Geschichte, die Mitte und das Ende der Geschichte einteilen, z. B. 3/3/3 oder 2/5/2. Es ist natürlich auch ein gutes Sprachtraining, wenn man vereinbart, die Geschichte in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft zu erzählen. Oder man kann der Geschichte die Form „Wenn … dann“ geben. Der Fantasie sind keine Grenzen auferlegt. Ausprobieren ist erlaubt. So kann man auch „Fortsetzungs- und Kettengeschichten“ verabreden, die in weiteren Runden fortgesetzt werden sollen.
Es geht natürlich bei diesem Experiment nicht wirklich um das Gewinnen, sondern um eine hübsche oder auch die schönste Geschichte. Aber das ist natürlich keine mathematische Kategorie. Vielleicht lässt man ein Publikum abstimmen, wenn man unbedingt ein Gewinnspiel daraus machen will.
Dabei kann in dem Zauber der Poesie eine eigene Form von tiefer Wahrheit stecken. Aber trotz aller grundlegenden Unterschieden gibt es doch auch viele tiefe Bezüge zwischen den beiden Welten. Wahrheit und Wirklichkeit sind keine Kriterien an eine gute Geschichte, aber die Geschichten müssen trotzdem eine innere Logik und Stimmigkeit besitzen. Sie müssen irgendeinen Sinn in sich tragen. Im anderen Fall fühlt sich der Zuhörer zum Widerspruch herausgefordert und lässt sich durch den Erzähler nicht in die Erzählung hineinziehen. In der Mathematik geht es um eine Wahrheit, die durch eine klar definierte Sprache und streng logisch aufgebaute Schritte von jedem Zweifler nachgeprüft werden kann und das nicht nur für einen kürzeren oder längeren Zeitraum, sondern ein für alle Mal. Um aber interessante mathematische Zusammenhänge zu finden, die dann zu den exakten Aussagen geformt werden müssen, und deren objektive Wahrheit durch logische Beweisschritte abgesichert werden muss, braucht auch der Mathematiker ein viel Fantasie, Vorstellungskraft und Kreativität. Manches Mal kann eine schön erzählte Anekdote oder ein fantasievoll gestalteter Vergleich die streng mathematischen Darstellungen „verdaulicher“ machen.
Fragen wir uns, wie viele solcher verschiedenen Geschichten sind denn mit den neun Würfeln möglich? Das ist zunächst eine kombinatorische Aufgabe. Dazu könnte man nun so vorgehen: Wir bringen die neun Würfel in eine zufällige Reihenfolge und würfeln dann mit dem ersten das erste Motiv, dafür gibt es 6 mögliche Ausgänge, anschließend würfeln wir mit dem zweiten Würfel das zweite Motiv, das sind wieder 6, also gibt es 6⋅6=36 Möglichkeiten für die beiden ersten Motive, 6⋅6⋅6=216 für die ersten 3 Motive. Insgesamt sind somit 69=10.077.696 für die Auswahl der 9 Motive möglich, und zwar bei der einen Reihenfolge der 9 Würfel. Da es aber 9!=9⋅8⋅7⋅6⋅5⋅4⋅3⋅2⋅1=362.880 mögliche Reihenfolgen für die 9 Würfel gibt und dann bei jeder dieser Permutationen 69 Möglichkeiten gibt, sind es insgesamt 9!⋅69≈3,7 Billionen Motivfolgen für eine zu erzählende Geschichte.
Stellen wir uns nun einmal vor, dass man ein Programm für einen Computer schreiben würde, das statt der Würfel mit den Bildmotiven geeignete Texte verwenden würde und damit entsprechende Geschichten zusammensetzen würde, dann könnte er genau 9!⋅69 „erzählen“. Das ist eine so riesige Zahl, dass man von „unendlich“ vielen möglichen Geschichten reden würde, aber tatsächlich geht es immer noch um eine endliche Zahl. Hier erkennt man sehr schnell, worin der Mensch dem Computer überlegen ist und auch sein wird. Im Gegensatz zum Computer macht die Kreativität des Menschen für jede Motivvorlage potenziell eine unbegrenzte Anzahl von Geschichten denkbar, und zwar eine mathematisch nicht abzählbar unendliche Menge.
Mehr über die nicht abzählbare oder überabzählbare Unendlichkeit findest Du in dem Artikel zu Cantors zweitem Diagonalverfahren:
Viel Spaß bei der Übertragung von Cantors zweitem Diagonalverfahren auf die möglichen Cube-Stories!