Pseudospiele – Wenn die Spielregeln den ersten oder zweiten Spieler zum Gewinnen zwingen

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Man nehme 24 Objekte (Stäbchen, Perlen, Streichhölzer o.ä.) und vereinbare folgende Spielregeln:

Die beiden Spieler nehmen abwechselnd vom Stapel ein, drei oder fünf Objekte weg. Wer das letzte Objekt wegnehmen kann, gewinnt die Partie.

… und die Zutaten für ein einfaches Spiel mit überraschendem Ergebnis sind parat.

Um das Spiel anschaulicher zu erklären, benutzen wir hier im Beispiel statt der 24 nur acht Stäbchen des in der Mathothek präsenten Spiels:

Der weitere Spielverlauf ist auf den folgenden Bildern zu sehen. Dabei sind die Züge von Spieler I rechts und diejenigen von Spieler II links zu sehen.

Spieler I entfernt 1 Stäbchen, für Spieler II bleiben sieben Stäbchen:

Spieler II entfernt fünf und für Spieler I bleiben zwei Stäbchen:

Hier kann Spieler I nur ein Stäbchen nehmen und muss das letzte Stäbchen dem Spieler II überlassen:

Damit geht die Runde an Spieler II:

Nach etlichen Spielverläufen verwundert es dann doch, dass jedes Spiel vom zweiten Spieler gewonnen wurde. Das ändert sich auch nicht, wenn man eine andere Anzahl von Objekten benutzt. Allerdings gilt das nur, wenn es sich um eine gerade Anzahl handelt. Ist die Gesamtzahl der Objekte gerade, so gewinnt anscheinend immer der zweite Spieler, auch wenn dieser gerade zum ersten Mal dieses Spiel kennengelernt hat.

Auf der Suche nach einer stichhaltigen Erklärung der Beobachtungen findet sich hier eine Spur, nämlich die Eigenschaft natürlicher Zahlen, gerade oder ungerade zu sein. Bei der Division durch 2 bleibt bei einer ungeraden Zahl der Rest 1 und bei einer geraden Zahl der Rest 0. Darüber hinaus gilt, dass die Summe zweier gerader Zahlen wieder eine gerade Zahl ist, die Summe zweier ungerader Zahlen aber immer eine gerade Zahl ergibt. Die Summe einer geraden Zahl und einer ungeraden Zahl ist immer eine ungerade Zahl. Die Reihenfolge spielt dabei keine Rolle. Und wie ist das folglich bei der Subtraktion? Die Differenz einer geraden und einer ungeraden Zahl ist immer eine ungerade Zahl. Die Differenz zweier ungerader Zahlen ist immer eine gerade Zahl.

Dann bedeuten also die “Spielregeln”:

Spieler I nimmt zu Beginn von einer geraden Zahl von Objekten eine ungerade Anzahl weg. Es bleibt somit eine ungerade Anzahl für Spieler II zurück. Von dieser ungeraden Zahl nimmt Spieler II nun auch wieder eine ungerade Anzahl weg. Somit bleibt für Spieler I eine gerade Zahl übrig. Diese kann null sein, dann hat er verloren oder das “böse” Spiel geht weiter.

In jeder Runde hinterlässt der zweite Spieler dem ersten eine gerade Anzahl von Objekten. Und da null die kleinste gerade Zahl ist, wird immer Spieler I verlieren und II gewinnen.

Sollte jemand einmal versuchen, mit einer ungeraden Zahl von Objekten das Spiel zu starten, überließe der erste Spieler bei jeder Spielrunde dem zweiten eine gerade Anzahl und somit würde jetzt der zweite Spieler das Spiel verlieren.

Hier handelt es sich aber um kein echtes Spiel mit sicherer Gewinnstrategie, sondern um ein Pseudospiel. Beide Spieler brauchen keinerlei Überlegung zu gerade und ungeraden Zahlen und ihren arithmetischen Eigenschaften: Die sture Befolgung der Spielregeln zwingt den Zweiten zu gewinnen und sorgt dafür, dass der Erste das Spiel verliert.

Ein weiteres solches Pseudospiel benutzt Kreise und Quadrate statt gerade und ungerade. In der Mathothek gibt es einige farbige Kreise und Quadrate aus Sperrholz, mit denen dieses Spiel durchgeführt werden kann.

Die Spielregeln lauten diesmal: Jeder der beiden Spieler nimmt abwechselnd in jeder Runde

  1. zwei Kreise und ersetzt sie durch einen Kreis oder

2. zwei Quadrate und ersetzt sie durch einen Kreis oder

3. einen Kreis und ein Quadrat und ersetzt sie durch ein Quadrat oder

4. ein Quadrat und einen Kreis und ersetzt sie durch ein Quadrat

Bleibt am Ende nur ein Kreis übrig, dann gewinnt der zweite Spieler. Falls zuletzt nur ein Quadrat übrig bleibt, gewinnt der erste Spieler.

Zu 1. und 2.:

Zu 3. und 4.:

Tatsächlich gewinnt bei jeder Spielrunde der zweite Spieler, d.h. es bleibt nie ein Quadrat, sondern immer ein Kreis übrig. Auch hier sorgt keine sichere Gewinnstrategie für den Sieg, sondern auch hier liegt es an den Spielregeln, die das Ereignis regelgemäß erzwingen. Allerdings kann man schon durch die einfache Regelabänderung (Vertauschung von Kreis und Quadrat in der Gewinner-Verlierer-Entscheidung) dafür sorgen, dass immer der Zweite gewinnt.

Bei jedem Zug einer Spielrunde nimmt die Anzahl der Kreise bei den Entscheidungen für 1., 3. und 4. um einen Kreis ab und nur bei 2. kommt ein Kreis mehr hinzu. Dagegen nimmt die Anzahl der Quadrate im Falle 2. um zwei ab. In den Fällen 1., 3. und 4. ändert sich die Zahl der Quadrate nicht. Quadrat verliert und Kreis gewinnt, wenn die Anzahl der Quadrate gerade ist.

Im Grunde genommen sind auch alle Spiele, bei denen einer der beiden Spieler eine sichere Gewinnstrategie kennt und natürlich auch benutzt, unfair. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit ihnen ist der wahre Gewinn für beide Spieler. Danach ist ein solches Spiel, jedenfalls für diese beiden, eigentlich erledigt, vergleichbar mit der Lösung einer mathematischen Aufgabe. Auch wenn es dem Wissenden Genugtuung verschaffen vermag, sein nicht eingeweihtes Opfer zu verblüffen, so besteht der eigentliche Gewinn doch darin, dass er mit seiner logischen Erklärung das “Opfer” in den Kreis der Wissenden aufnimmt. Das gilt auch in gewisser Weise auch bei strategischen Pseudospielen. Allerdings nur dann, wenn beide Spieler das Spiel am Schluss auch analysieren.

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