Hat jemand irgendwann einmal Arbeiten von M. C. Escher kennengelernt, so wird er sich bei einem Mathotheksbesuch sofort durch die bunten fünf platonischen Körper daran erinnert fühlen:
Die fünf platonischen Körper sind nach Art und mit Motiven des Künstlers M.C. Escher gestaltet: Es gibt keine leeren Zwischenräume, die identischen Figuren bedecken die Oberflächen, ohne sich zu überschneiden oder Lücken zu hinterlassen. Die in der Mathothek vorhandenen Objekte sind aus einem Bausatz hergestellt worden.
M. C. Escher hat sich auch mit der Darstellung von besonders schönen geometrischen Körpern beschäftigt, und zwar hat er sie häufig als Kantenmodelle dargestellt, so werden die Symmetrien besonders gut zugänglich und ästhetisch faszinierend. Damit setzte er eine Linie fort, die in der Renaissance einen ersten Höhepunkt hatte, mit Werken von Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer. Natürlich spielten sie in der Geometrie und Philosophie des antiken Griechenlands schon eine bedeutende Rolle. Es versteht sich von selbst, dass es in der Mathothek besonders viele interessante Objekte gibt, um sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Neben diesen platonischen Körpern gibt es auch noch einige Umstülpkörper, die mit Escher-Motiven parkettiert sind.
Dabei besteht ein Umstülpkörper im Prinzip aus Polyedern, die zu einem Ring zusammengefügt sind. Die einzelnen Glieder dieser symmetrischen Kette sind an bestimmten Kanten, die als Gelenke dienen, beweglich miteinander verbunden. Dieser Ring aus Polyedern und Gelenkkanten lässt sich in sich drehen. Durch den damit verbundenen Umstülpungsvorgang werden diejenigen Flächen, die vorher zur Innenseite des Rings gewiesen haben, nach außen gewendet. Dieser Vorgang kann fortgesetzt wiederholt werden.
Diese Objekte geben den Mathotheksbesuchern einen ersten Eindruck von den Arbeiten des niederländischen Grafikers, Mathematikers und Künstlers Maurits Cornelis Escher (1898-1972), der vor allem durch seine Darstellung unmöglicher Figuren bekannt wurde. Er war ein schlechter Schüler, der sogar trotz seiner Begabung auch in Kunst schlechte Noten hatte. In der Oberschule erlernte er die Technik des Linolschnitts. Später erlernte er weitere grafische Techniken und beherrschte den Holzschnitt perfekt. Auf einer Reise durch Spanien begann er sich mit arabischer Ornamentik (Alhambra) auseinanderzusetzen. Nach einem zweiten Besuch der Alhambra 1936 experimentierte er zunehmend mit Flächenfüllungen in der Art mathematischer Parkettierungen.
Fotos von drei solcher Parkettierungen
Und einer dreidimensionalen „Parkettierung“, auf eine Fläche projiziert ist:
Seine bekanntesten Werke behandeln nach den Gesetzen der Perspektive unmögliche Darstellungen. Sie waren es vor allem, die Escher auch zu einem Popstar machten. Von diesen Arbeiten gibt es einige reproduktive Drucke in der Mathothek zum Anschauen, aber auch als Abbildungen in verschiedenen Büchern, die den Mathotheksbesuchern zur Verfügung stehen. Man sieht Objekte oder Gebäude, die auf den ersten Blick natürlich und selbstverständlich zu sein scheinen, aber bei einem zweiten kritischeren Blick vollkommen widersprüchlich und unmöglich sind.
Auf einem Plakat von Andrea Best aus dem Shop des Mathematikums in Gießen sind Vierzehn optische Irritationen zu finden, die Eschers Arbeiten verwandt sind oder zitieren, z.B. auch die von Lionel Penrose entwickelte Treppe, die scheinbar immer nach unten bzw. nach oben zu führen scheint und doch kehrt man auf ihr paradoxerweise immer wieder zum Ausgangspunkt zurück. Auf diese Weise entsteht auch das Bild eines glaubhaften Perpetuum mobiles, bis Wissen und ein genauerer Blick die Utopie durchschaut.
An der Außentür der Mathothek begrüßt und irritiert ein reproduzierter Druck Reptilien von M. C. Escher den Mathotheksbesucher, und zwar eine seiner bekannten Arbeiten zum Thema Metamorphosen. Aus einem Bild (im Bild) von einer typisch escherschen Parkettierung mit vereinfachten Echsen kriecht zunächst eine zweidimensionale Echse als räumliches Tier in die dreidimensionale Welt, um nach einer Bewegungsrunde durch und über verschiedene räumliche Objekte wieder als zweidimensionales Wesen an seinen angestammten Platz im Ausgangsbild zurückzukehren.
Das Abbild einer Arbeit Möbiusband II zeigt sehr schön, wie M. C. Escher auch mathematische Objekte für seine Darstellungen nutzen konnte. Auf einem kreisförmigen Band wandern Ameisen von einer Seite scheinbar auf die andere, ohne je einen Rand zu überqueren: Escher nutzte hier das berühmte Möbiusband aus der Mathematik, dessen Fläche nur eine Seite und eine Kante besitzt.
Bei seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit der Unendlichkeit stieß Escher auf ein Modell, mit dem der Mathematiker Jule Henri Poincaré die Andersartigkeit der hyperbolischen Geometrie zu veranschaulichen wollte, und zwar wird in einem großen, aber endlichen Kreis das Ganze einer unendlichen Fläche gezeigt. Die Geraden der hyperbolischen Ebene sind Kreisbögen und der Maßstab wird zum Kreisrand hin immer kleiner. Escher fand dieses Modell der hyperbolischen Ebene in einer anschaulichen Darstellung des Geometers H. S. M. Coxeter:
Durch das Kennenlernen von Coxeters Veranschaulichung der hyperbolischen Ebenen fand M. C. Escher zu einer neuen künstlerischen Annäherung an die Unendlichkeit.
Während es in der gewöhnlichen euklidischen Geometrie zu jeder Geraden und jedem nicht auf ihr liegenden Punkt genau eine Parallele durch den Punkt gibt (Parallelenpostulat), gibt es in der hyperbolischen Geometrie mehr als eine Parallele durch den gegebenen Punkt (und in der elliptischen Geometrie sogar gar keine Parallele).
Einen Über- und weiteren Einblick in das Schaffen des Grafikers und Mathematikers M. C. Eschers kann der Besucher mithilfe zweier Bücher in der Mathothek gewinnen:
Der Zauberspiegel des M. C. Escher von Bruno Ernst, Taschen
Die Magie des M. C. Escher, Taschen
Wenn du Puzzles magst, findest du auch eines mit optischen Finessen nach sechs Bildern von M. C. Escher.
Zu den verschiedenen Bereichen von Eschers mathematisch-phantastischen Arbeiten gibt es vielfältige Exponate in der Mathothek. Sehr viele und faszinierende interaktive Objekte gibt es insbesondere zum Thema Parkettierungen:
Zu dem Thema Parkettierungen der Ebene gibt es in der Mathothek noch eine besonders aufschlussreiches Exponat: Es handelt sich um ein paar Dutzend Stoffproben mit verschiedenen Mustern. Mathematisch gesehen, gibt es nur 17 verschiedene Symmetriegruppen. Bei den in der Mathothek gesammelten Stoffstücken sind alle diese 17 Symmetriegruppen vertreten. Die von Escher untersuchten arabisch-islamischen Ornamente und dann seine eigenen Parkettierungsarbeiten besitzen die eine oder andere Struktur aus diesen 17 Symmetriegruppen. Zu diesem Exponat gibt es auch Hilfen, um sie zu erkennen und auch zu konstruieren:
Neben den platonischen Pflasterungen mit jeweils ein und demselben regulären Polygon (Quadrat, Dreieck und Sechseck) können auch die archimedischen und andere besonders symmetrischen Parkettierungen untersucht werden. Aber auch der Einblick in die von dem Mathematiker Lionel Penrose entdeckten nicht-periodischen Pflasterungen der Ebene sind durch interaktive Objekte der Mathothek zugänglich:
In der Sammlung der Mathothek gibt es aber auch einige Veranschaulichungen zu nicht-euklidischen Geometrien und Artikel im Katalog, z.B. gehäkelte Modelle hyperbolischer und elliptischer Ebene:
Das Thema optische Täuschung ist mit sehr vielen interessanten und vielseitigen Exponaten in der Mathothek vertreten, nicht zuletzt auch, um davor zu warnen, dass bei allem, was für sie spricht, sich zu sehr auf sinnliche Eindrücke und Intuition zu verlassen. Kritische Einstellung gegenüber diesen wunderbaren und grundlegenden Weltzugängen und strenge logische Kontrolle sind unverzichtbar auf dem Weg zur Wahrheit.
Kanten- und Flächenmodelle der fünf platonischen Körper:
Die platonischen Körper sind ob ihrer symmetrischen Schönheit auch in der Würfelsammlung der Mathothek vertreten:
Alle 13 archimedische Körper hängen in der Mathothek von der Decke:
Beispiele zu den 13 archimedischen Körper:
Schön sind auch die vielen verschiedenen Sternkörper in der Mathothek (zwei Beispiele):
Schönheit und Anregungen für die künstlerischen Darstellungen liefern auch die Mineraliensammlung und die über 100 Jahre alten Glasmodelle der Kristallformen in der Mathothek:
Oft wird gegen das Werk Eschers eingewandt, dass es zu verstandesmäßig sei. Wenn jemand Kunst als Ausdruck von Gefühlen betrachtet, dann wird er Eschers Arbeiten nach 1937 nicht als Kunst sehen, denn es ist vom Verstand bestimmt, und zwar was das Ziel bestimmt als auch die Ausführung. Aber mit dem, was er erzählt, und dem Inhalt, den er vermitteln will, bringt er seine Begeisterung – wenn auch ohne Pathos – über seine Entdeckungen zum Ausdruck. In mehreren Artikeln des Katalogs werden die Beziehungen von Mathematik und Kunst gezeigt und untersucht.
Vielleicht hat es der Künstler Ursus Wehrli mit der Verstandesmäßigkeit und der ihr meist anhängenden Ordnungswut bei seiner Arbeit KUNST AUFRÄUMEN schon ein wenig übertrieben:
Aber charmant und lustig ist es trotzdem!