Konzentrische Kreisringe und archimedische Spirale – Beispiel für spielerisches Entdecken.

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Die Mathothek ist nicht nur ein Schutzraum für das Spiel, sondern das sinnvolle, intelligente und zielorientierte Spielen ist ein Hauptanliegen dieser einmaligen Einrichtung. Alle Exponate der Mathothek sollen durch ihre ästhetische und haptische Gestaltung zu solch forschendem Spiel verführen. Leider ist in den Augen vieler, Spielen nichts als ein unrentabler Zeitvertreib. Auch die kommerziell angebotenen, häufig wenig schöpferischen Spiele oder das Beschränken des Spiels auf die digitalen Angebote oder aufs Gewinnen und andere Schlagen ausgerichteten sportlichen Spiele engen die möglichen Erfahrungen verarmend ein.

So soll die Aufforderung: Rettet das Spiel!, so wie bei dieser „Zielscheibe“ mit ihren konzentrischen Kreisen in der Mathothek im Mittelpunkt stehen.

Tatsächlich dient dieses kleine und einfache Objekt nicht nur als Gleichnis, sondern ist auch ein hübsches Beispiel für dieses Anliegen der Mathothek.  

Es ist keine Zielscheibe, aber es sind fünf schwarze Kreise auf orangem Grund. Die Kreise sind konzentrisch, weil ihre Mittelpunkte derselbe Punkt sind. Außerdem sind ihre Abstände gleichgroß, d.h. ihre Radien unterscheiden sich jeweils um dieselbe Länge. Soweit sachlich richtig, aber nicht umwerfend. Interessant wird die Geschichte erst, wenn man entdeckt, dass diese Objekt aus zwei symmetrischen Teilrechtecken besteht.

Was kann man nun damit machen? Man kann mal versuchen, die beiden Teile anders zusammenzulegen, sie gegeneinander zu verschieben, zum Beispiel so:

Keine konzentrischen Kreise mehr zu sehen! Doch was für ein schönes Ergebnis: Zwei Spiralen „winden“ sich umeinander. Die Abstände bleiben dieselben. Wer, der ohne Vorwissen war, hätte das gedacht. Nur ein wenig spielerisches Hin-und-Herschieben und eine überraschende Entdeckung. Nachträglich erkennen wir natürlich den Zusammenhang zwischen den konzentrischen Kreisen und den beiden Spiralen, zwischen denen die Abstände somit ebenfalls gleich sind. Solche Spiralen nennt man in der Mathematik auch archimedisch.

Einmal verschoben, warum nicht ein zweites Mal? Natürlich wieder nach links. Nach rechts zu verschieben, lieferte uns wieder die konzentrischen Kreise. Das müssen wir erst gar nicht probieren. Wir schieben die beiden Hälften um zwei Längeneinheiten der Radienabstände. Und erleben wieder eine Überraschung:

Hier haben wir schon ein bisschen mehr zu tun. Vielleicht kann man sich das Ergebnis so veranschaulichen. Legen wir einen Teppich oder eine dickere Decke einmal in der Mitte gefaltet zusammen und rollen ihn oder sie dann auf. Denken wir uns nun, dass wir diese Rolle als nächstes rechtwinklig mit einem scharfen Messer durchschneiden, so könnte der Querschnitt unserer Rolle ungefähr wohl so aussehen.

„Aller guten Dinge sind nun mal drei.“ Also machen wir noch eine Verschiebung und betreten nicht mehr ganz so neues Land:

Dieses Ergebnis überrascht uns nun vom Typ her nicht mehr so besonders, aber seine Deutung ist doch sehr interessant. Viel Spaß!

Ich habe mir, während ich den Artikel geschrieben habe, mit Genuss überlegt, wie wohl meine Gäste auf meine nächste selbstgebackene Biskuit-Rolle reagieren werden. Vielleicht solltet Ihr es auch Mal versuchen, zwar kein neues Rezept, aber eine neue Form für Eure Biskuit-Rolle!

Nach diesem kleinen Intermezzo möchte ich noch ein paar Argumente für das Spielen und damit auch zum spielenden Umgang mit den Exponaten der Mathothek zusammenstellen.

Die Mathothek fühlte sich diesem Lernen auf der Basis der Beachtung von  Selbstbestimmung und Individualität des Lernenden von Anfang an uneingeschränkt verpflichtet. Sie wurde mit ihrem Angebot geschaffen, um ein Umfeld zu bieten, das genau diese Ziele des spielerischen Lernens und Entdeckens möglich macht. Vielleicht kann man im Unterricht, ob analog oder digital, mathematischen Schulstoff schneller vermitteln. Aber so entwickeln sich keine neugierigen, offenen und kreativen Menschen, die mehr können und verstehen, als Formeln anzuwenden.

Es gibt viele großartige Untersuchungen und Gedanken über die verschiedenen Möglichkeiten des Spielens und deren Wert. Spielen gibt es nicht nur bei Menschenkindern, auch junge Tiere trainieren ihre Fähigkeiten und sammeln wertvolle Erfahrungen zum Überleben, wenn es ernst wird. Das  richtige Spielen fördert die kreativen Kräfte eines Menschen, sodass er auf neue Ideen kommt, seine Geschicklichkeit und technischen Fähigkeiten, damit er sie auch umsetzen und realisieren lernt.  Auch ohne bedrohliche Situationen lernt sich der Mensch durch das richtige Spielen, sich auf solche vorzubereiten. Das Spiel schafft Freiraum für verschiedene Erfahrungen und Strategien, die in realen Situationen entscheidend sein können. Zum Spielen gehört nicht nur freie Phantasie, sondern auch das intelligente Ausprobieren und Testen. Bei solchem Spielen sind die Ziele selbst gesteckt oder freiwillig akzeptiert. Die Freude und Genugtuung über Erreichtes und der Lernprozess, auch mit Fehlschlägen fertigzuwerden, sind alles Werte für das echte Leben. Rettet das Spielen! Weil menschliches Lernen mit Verstehen zu tun hat und kein Programmieren werden darf. Bei allen Einschränkungen, die das Lernen oft mit sich bringt, darf das spielerische Moment nicht der bloßen  Effektivität des Input-Output-Denkens geopfert werden.

In neueren Forschungen zur Lern- und Entwicklungspsychologie wird immer wieder festgestellt, dass der Lernerfolg besonders gut durch das Zusammenspiel von Tast- und Sehsinn erreicht wird. Auch schon in der Vergangenheit haben viele große Denker, Wissenschaftler und Pädagogen   entscheidende Argumente für das Spiel formuliert. An dieser Stelle sollen nur fünf Beispiele genannt werden: 

Johannes Kepler (1571-1630) – ein Bahnbrecher der modernen Wissenschaft: „Ohne Anschauung gibt es kein Verstehen.“

Immanuel Kant (1724-1804) – großer Philosoph und Aufklärer: Kant war der Meinung, erst die Einheit aus Sinnen und Verstand führe zur Erkenntnis. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“  (Kritik der reinen Vernunft)

Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) – wegweisender Pädagoge: Er erkannte, dass „Kopf, Herz und Hand“ der grundlegende Dreiklang für die Unterstützung der kindlichen Entwicklung sind. Daraus entstand dann das heutige Motto „hands-on, minds-on, heards on“ der modernen Science-Center.

Friedrich Schiller 1759-1805) – der „andere Goethe“: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ „Aber was heißt denn ein bloßes Spiel, nachdem wir wissen, dass unter allen Zuständen des Menschen gerade das Spiel, und nur das Spiel es ist, was ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet?“ 

Jean Piaget (1896-1980) – bedeutender Entwicklungspsychologe: „Denken entsteht durch Verinnerlichung von gegenständlichen Handlungen.“  „Vorstellung ersetzt erst dann das Handeln, wenn es von diesem ausreichend Erkenntnisse gewonnen hat.“

„Spielen – Handeln – Denken – Erkennen – Verstehen“ mit Staunen, Freude und Kommunikation!

Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist. So heißt auch das großartige Buch von  Gerald Hüther und Christoph Quarch, das ein leidenschaftliches Plädoyer für das Spiel ist. Hier erläutern der Neurobiologe Hüther und der Philosoph Quarch, warum unser Gehirn zur Hochform aufläuft, sobald wir es spielerisch nutzen, und warum das Spiel durch seine Kommerzialisierung ebenso wie durch suchterzeugende Online-Spiele bedroht ist.

Übrigens: Zum Thema „Spiralen“ gibt es noch viele attraktive Exponate in der Mathothek „zum forschenden Spiel oder zur spielerischen Forschung“.

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