Eine hochinteressante Figur in der fraktalen Welt ist das „Apfelmännchen“ als veranschaulichende Darstellung der Mandelbrotmenge.
Die vielfach bekannte Darstellung der Mandelbrotmenge sieht tatsächlich wie ein rundliches Männchen aus, bei dem der „Bierbauch“ und der gesamte Rumpf besonders ins Auge fällt. Aber gerade dieser führt – sehen wir einmal von den kleinen „Warzen“ ab – uns zu einer besonderen Kurve, um die es in diesem Artikel und den dort vorgestellten Exponaten geht: der Kardioide oder Herzkurve. Es handelt sich bei ihr um eine algebraische Kurve 4. Ordnung. Ihren Namen erhielt sie wegen ihrer besonderen Form:
Eine Kardioide lässt sich auch dadurch erzeugen, dass man auf der Außenseite eines beliebigen festen Kreises einen zweiten Kreis abrollen lässt, der denselben Radius wie der feste Kreis hat. Ein beliebig gewählter Punkt auf dem äußeren Kreis beschreibt dann mit seiner Bahn bei einer vollen Umrundung eine Herzkurve. Somit ist jede Kardioide oder Herzkurve auch eine Zykloide, genauer eine Epizykloide.
Diese Konstruktion einer Kardioide lässt sich konkret mithilfe eines weiteren Experiments bewältigen, nämlich mit dem „Spirographen-Kasten“ in der Mathothek.
Zu diesem Exponat gehören auch einige Messingrädchen, die geeignet sind, eine solche Herzkurve zu zeichnen:
Die beiden gleich großen Rädchen nutzt man zur Konstruktion und zum besseren Verständnis der Nierenkurve:
Beim Start liegt der auf dem linken Zahnrad fixierte Punkt (ein entfernter Zahn) genau auf dem Spitzpunkt der Herzkurve. Mit einer sehr spitzen Bleistiftmine wird nun die Bahn dieses Punktes beim Abrollen dieses Rades auf dem rechten Rad auf der Unterlage aufgezeichnet, bzw. hier auf den Fotos nachvollzogen. (Das äußere Rad bewegt sich hier im Uhrzeigersinn.):
Schaut man sich in der Mathothek gezielt um, so gibt es zahlreiche Objekte, bei denen auf Holzunterlagen bunte Fäden gespannt sind oder gespannt werden können, so auch blaue Fäden auf einer kreisförmigen Scheibe aus Sperrholz. Wieder erkennen wir in dem Muster der blauen „Geraden“, die nach nicht sofort erkennbaren Regeln zwischen im Kreis mit gleichen Abständen angeordneten kleinen Nägeln gespannt sind, unsere bereits bekannte Kardioide:
Diese Konstruktion einer Kardioide ergibt sich aus ihrer Eigenschaft, dass bestimmte Sehnen eines Kreises die Tangenten einer solchen Herzkurve sind. Diese Sehnen verbinden jeweils den Punkt n mit dem Punkt n+3, die auf dem Kreis in gleichmäßigen Abständen liegen. Ihre Anzahl muss deshalb eine durch drei teilbare Zahl sein.
Dieses Bild ist folgendermaßen konstruiert worden:
- Zunächst wurde ein Kreis gezeichnet. Anschließend wurde dieser mit 2N kleinen Nägeln in gleich große Teilbögen unterteilt und diese mit den Zahlen 1, 2, … , 2N fortlaufend nummeriert
- Danach wurden mit dem blauen Faden die Sehnen (1;2), (2;4), (3;6), … (n;2n), … (N;2N) gespannt (gewissermaßen bewegt sich der zweite Punkt der Sehne mit doppelter Geschwindigkeit)
- Die Einhüllende dieser Strecken ist eine Herzkurve oder Kardioide
Diese recht einfache Konstruktion einer Kardioide als Einhüllende einer Geradenschar geht auf den Mathematiker l. Cremona zurück – sicher ohne Sperrholz und Fäden. Natürlich kann man eine Kardioide auch mit Zirkel, Lineal, Stift und Papier zeichnen.
Das folgende Fadenbild in der Mathothek zeigt noch einmal das Prinzip der Einhüllenden einer Geradenschar am Beispiel eines Kreises als Einhüllende seiner Tangenten, die wiederum mit bestimmten Sehnen des größeren Kreises zusammenhängen:
Wie so oft im Alltag verlieren viele Menschen die Fähigkeit, über immer wieder auftretende Erscheinungen zu staunen und sie dann auch einmal zu hinterfragen.
Eine solche Erscheinung ist es auch, wenn Licht in eine Kaffeetasse fällt. In der Mathematik und Physik spricht man von der Kaustik eines Kreises. Fallen in der Ebene Lichtstrahlen von einem Punkt eines spiegelnden Kreises in diesen, so sind die im Inneren des Kreises reflektierten Lichtstrahlen die Tangenten einer Kardioide. Die reflektierten Lichtstrahlen umhüllen also eine Herzkurve. Um eine solche Kardioide zu erhalten, muss sich die Lichtquelle genau über dem Kreisrand befinden:
Bei Sonnenschein entstanden auf dem Boden dieser weißen runden Porzellanschale faszinierende Bilder mit mindestens sehr ähnlichen Kurven aus Licht:
Fallen die Lichtstrahlen parallel, z.B. die Sonnenstrahlen, in den reflektierenden Kreis, so erscheint im Inneren des Kreises eine Kaustik, die eine Nierenkurve (Nephroide) darstellt. Mathematisch gesehen, ist die Nephroide eine algebraische Kurve 4. Ordnung, die ihren Namen aufgrund ihrer Form bekommen hat. In den anderen Fällen des Lichtstrahleneinfalls treten Mischformen der beiden Kurven auf.
Und für alle diejenigen, die die algebraische Darstellung der Schar aller Kardioiden kennenlernen wollen, gibt es hier noch deren Formel:
(x2+y2)2+4ax(x2+y2)+4a2y2=0, wobei a frei wählbar ist.
Mithilfe Deines Computer-Algebraprogramms kannst Du Dir dann die Herzkurve Deines Herzens ausdrucken.
Dass man eine Kardioide auch als Einhüllende einer Kreisschar auffassen kann, zeigt folgende gerahmte Bleistiftzeichnung in der Mathothek:
Alle Kreise, deren Mittelpunkte auf dem (dunkleren) Grundkreis liegen und die durch den „Spitzpunkt“ – einen festen Punkt auf dem Grundkreis – gehen, bilden eine Kreisschar, deren Einhüllende eine Kardioide ist. Die 16 ausgewählten Kreise der Zeichnung – ihre Radien liegen in gleichmäßigen Abständen auf dem Grundkreis – vermitteln bereits eine gute Annäherung an die entstehende Kardioide. Auch mit transparent gefärbten Kreisen entsteht mit Computers Hilfe ein ästhetisches Bild einer durch eine Kreisschar erzeugte Herzkurve:
Eine weitere solche Zykloide, dieses Mal mit zwei Spitzen, ist die Nephroide oder Nierenkurve:
Auf diesem zweiten Fadenbild ist eine solche Nephroide zu erkennen. Auch hier handelt es sich um das Konstruktionsprinzip mittels Sehnen in einem gegebenen Kreis, deren Einhüllende eine Nephroide oder Nierenkurve ist. Beide Bezeichnungen beziehen sich auf die Form. Auf dem Fadenbild sind die Sehnen durch Fäden dargestellt.
Nephroide als Einhüllende einer Geradenschar:
Auch eine Nephroide oder Nierenkurve lässt sich mit einer Geradenschar erzeugen. Wie bei einer Kardioide sind auch hier bestimmte Sehnen eines Kreises die Tangenten der Nierenkurve, und zwar verbinden sie jeweils die Punkte n und 3n. Diese Punkte liegen in gleichen Abständen auf dem Kreis und ihre Anzahl muss dieses Mal durch drei teilbar sein.
Die Konstruktionsanleitung lautet dann folgendermaßen:
- Man zeichnet einen Kreis und unterteilt ihn gleichmäßig mit 3N Punkten (Nägeln). Diese werden fortlaufend mit 1 bis 3N bezeichnet
- Anschließend werden die Sehnen (1;3), (2;6), … (n;3n), … (N;N+3), (N+1;3), (N+2;6), … durch rote Fäden gekennzeichnet (dieses Vorgehen kann man auch so beschreiben: Der zweite Punkt der Sehne bewegt sich mit der dreifachen Geschwindigkeit)
- Die Einhüllende dieser Strecken ist eine Nephroide oder Nierenkurve
Aber jede Nephroide ist – wie die Kardioide – auch eine Epizykloide. Wenn man von außen auf einem Kreis mit dem Radius 2r einen zweiten Kreis mit dem Radius r abrollen lässt, so bewegt sich irgendein beliebiger Punkt des abrollenden Kreises auf einer Rollbahn, die eine Nierenkurve oder Nephroide ist:
Die folgenden Fotos zeigen drei Stationen dieses Abrollvorgangs. Der rote Kreis bezeichnet denjenigen Punkt auf dem kleineren Rad, dessen Bahn die Nephroide ergibt. Dabei ist der Durchmesser des rollenden Kreise halb so groß wie der des großen Kreises, auf dem der kleine sich im Uhrzeigersinn bewegt.
Die Evolute von einer Kardioide ist wieder eine Herzkurve (und die Evolute einer Nephroide ist wieder eine Nierenkurve). Somit erhält man noch eine Konstruktionsmöglichkeit, aus einer vorhandenen Herzkurve eine weitere – dreimal so große Kardioide – zu erzeugen:
In der Mathothek gibt es weitere Experimente zum Thema Epi-, Hypo- und anderen Zykloiden:
Beim „Apfelmännchen“ spielt die Selbstähnlichkeit oder fraktale Struktur eine zentrale Rolle. Dabei versteht man unter Selbstähnlichkeit, dass sich bestimmte Formen in immer kleiner dimensionierten Strukturen wiederholen. Zum Verständnis dieser Selbstähnlichkeit gibt es in der Mathothek zahlreiche bildliche und auch interaktive Exponate, die aus ganz verschiedenen Bereichen unserer Welt kommen:
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, sich mit der Mandelbrotmenge und dem „Apfelmännchen“ zu beschäftigen: