„Ein Verhältnis zu dritt“ – Mathematik, Handel und Kunst in der Renaissance

Du befindest dich hier:

Im 15. und 16. Jahrhundert, als dem mit Renaissance bezeichneten Zeitalter, das mit dem Heraustreten aus der Enge der mittelalterlichen Vorstellungen, der Wiederentdeckung der griechischen und römischen antiken Kultur und einer besonders mit dem Handel sich erweiternde Weltsicht auszeichnete, erlebten auch die Kunst und die Mathematik einen Aufbruch zu neuen Höhen und einer gegenseitigen Befruchtung.

Diese wesentliche Auf- und Umbruchzeit wird in dem Buch von Thomas de Padova Alles wird Zahl – Wie sich die Mathematik neu erfand, 2021, gut lesbar dargestellt: Aufblühen von Mathematik, Welthandel und Kunst. So förderte der Handel rund ums Mittelmeer und die dadurch bedingten Kontakte mit der arabischen Welt die Neuerfindung der Mathematik im Abendland. Hierher gehört die revolutionäre Übernahme der indisch-arabischen Zahlenschreibweise und neuer Rechentechniken. Neu war in Europa die Null als Ziffer und als Zahl, das erregte bei vielen Menschen u.a. auch ideologisch begründete Ablehnung. 

Für Kaufleute war natürlich ein sicherer und möglichst einfacher Umgang mit Zahlen von größtem Interesse, zumal in dieser Zeit in Italien die Doppelte Buchführung erfunden wurde, die bis heute die Grundlage der Buchhaltung ist. Es war der Kaufmann Leonardo von Pisa, später Fibonacci genannt, der nach seinen Handelsreisen nach Konstantinopel und in den westlichen Mittelmeerraum, im 12. Jahrhundert in einem 500 Seiten starken Buch Liber abbaci die indisch-arabische Zahlenschreibweise und sämtliche Grundrechenarten, Dreisatz, Zinsrechnung beschrieb, also alles, was es den Kaufleuten dann ermöglichen sollte, Währungen und Maße bequem umrechnen zu können, ihre Gewinnerwartungen und Risiken zu ermitteln. Aber dieses Buch war nicht nur für interessierte Kaufleute geschrieben, sondern auch für Liebhaber der Mathematik. Noch über Generationen waren viele Teile des Buches über arithmetische Folgen und Grundzüge einer Algebra beflügelnd.

In der Mathothek gibt es hierzu eine sehr reichhaltige Sammlung von Exponaten, die viele mathematische Themen veranschaulichen und interaktiv zugänglich machen, die in diesem Buch eine Rolle spielen. Umgekehrt liefert das Buch wichtige Informationen zum Verständnis und zur Geschichte dieser Objekte.

Ein Objekt der Mathothek stellt Fibonaccis Vermehrungsmodell von Kaninchen dar. Aber die Zahlen dieser Fibonaccifolge kommen in der Natur und auch in der Kunst häufig vor.

In der Mathothek gibt es zum Thema Zahlen, Ziffern und Rechnen zahlreiche anfassbare Exponate:

Zahlensysteme: Altägyptisch, griechisch, römisch, indisch-arabisch, chinesisch und Schreibweise der Maya.

Rechenhilfe: Abakusse

Rechenhilfe: Rechenbrett und Rechenpfennige

Rechenhilfe: Ägyptische oder russische Bauernrechnung

Zahlenschreibweisen: Dreier-System und gemischtes Dual- und Dezimal-System

Aber auch andere in Europa unbekannte algebraische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse wurden durch reisende Kaufleute mit nachhause gebracht. Im Haus der Weisheit in Bagdad versammelte der Sultan die besten islamischen, jüdischen und christlichen Gelehrten, um das Wissen der Welt zusammenzutragen und alte Schriften übersetzen zu lassen. Auf diese Weise wurden auch die philosophischen und geometrischen Schriften aus dem antiken Griechenland  wiederentdeckt und sind uns erhalten geblieben – sehr häufig als lateinische Übersetzungen aus dem Arabischen. So ist in der Mathothek auch (in deutscher Übersetzung und moderner Ausgabe) das erste Mathematikbuch der Welt zu finden, dessen logische Prinzipien noch heute Grundlage sind.

Der große Maler und Zeichner Albrecht Dürer aus Nürnberg brachte dieses Werk aus Italien nachhause und vertiefte seine mathematische Bildung. Er setzte sich ausgiebig mit der Perspektive und der Zentralprojektion auseinander. Das folgende Exponat der Mathothek erlaubt dem Besucher, sich mit diesem Thema unmittelbar auseinanderzusetzen.

Auch die Proportionalität und die Harmonie bekamen in der Malerei und der plastischen Kunst durch die Neuentdeckung der klassischen griechischen und römischen Kunstwerke einen Aufschwung. Unter anderem setzten sich in der Renaissance Künstler mit der heute meist goldener Schnitt genannten unendlichen Teilung einer Strecke auseinander. Zu ihnen zählten sicher Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer. Leonardo da Vinci lernte diese besondere Aufteilung einer Strecke durch den Mönch Pacioli kennen, für den er zahlreiche kunstvolle mathematische Zeichnungen schuf. So auch Kantenmodelle der fünf platonischen und weiterer besonders symmetrischer Körper.

Bilder eines Sets solcher Kantenmodelle der platonischen Körper in der Mathothek:

Zum Thema „Goldener Schnitt“, den Pacioli divina proportione nannte, gibt es eine enorme Sammlung von Beispielen aus der Mathematik, Kunst und Natur. Das gilt auch für die Zahlen der Fibonacci-Folge: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 11, usw. Sie stehen in enger Verbindung zum Goldenen Schnitt, weil der Quotient jeweils zweier aufeinanderfolgender Zahlen dieser Folge eine immer bessere Näherung an den irrationalen Wert des Goldenen Schnitts liefern. Drei Beispiele aus der Renaissance: Michelangelos Die Erschaffung Adams, Raffaels Sixtinische Madonna und Leonardos Vitruv’scher Mann: Ein umfänglicherer Einblick in die Sammlung der Mathothek erfolgt weiter unten im Zusammenhang mit der oben erwähnten Ausstellung Göttlich Golden Genial und ihrem Katalog.

Der mit Martin Luther befreundete Pfarrer Michael Stiefel verbindet das Wissen aus Euklids Büchern über die Irrationalität mit den arabischen Rechentechniken und trägt mit seinen Arbeiten dazu bei, dass das Operieren mit Zahlen und Zeichen in der Gleichungslehre zu einer Routine wird und man von der eigentlichen Bedeutung  der Symbole absehen kann. Die sich verbreitenden Algorithmen erleichterten das Rechnen natürlich enorm, auch auf die Gefahr hin, dass man dabei blind wird für das, was und womit man gerade rechnet. 

Angelehnt an einen ersten kleinen Katalog des Mathematikums hat ein Mathe-Lk für die Mathothek Poster zum Thema Wer hat X erfunden? gestaltet, die die Entstehung, Zeit und Herkunft vieler mathematischer Zeichen, Begriffe und Symbole zeigen.

Mehr als einen Spaltbreit öffnete der 1501 geborene Mathematiker, Arzt, Philosoph, Erfinder und Humanist Gerolamo Cartano bereits in der Renaissance die Tür zur Mathematik des 19. Jahrhunderts, als er Wege zur Lösung kubischer Gleichungen suchte. Bei seinen Lösungen benutzte er im Grunde genommen nicht-reelle Lösungen quadratischer Gleichungen, also Vorläufer der viel später von Gauß eingeführten imaginären Zahlen. Seine problematische Persönlichkeit und schwierigen Situationen, aber auch die großen Ereignisse seiner Zeit, z. B. Pest und Inquisition, brachten ihm immer wieder Anfeindungen und Schwierigkeiten. Finanzielle Nöte und Glücksspiele führten ihn aber auch zu wichtigen Erkenntnissen in der Wahrscheinlichkeitsrechnung. 

Der 1436 in Königsberg in Franken geborene und 1476 in Rom gestorbene Regiomontanus, der ursprünglich Hans Müller hieß, gilt als der bedeutendste Mathematiker seiner Zeit, so durch seine Begründung der modernen Trigonometrie und seine Reform des Julianischen zum heutigen Gregorianischen Kalender. Aber er war auch ein bedeutender Verleger und Humanist.

Diese beiden Namen stehen hier somit für die großen Bewegungen der Renaissance: Buchdruck und Humanismus.  Die nahezu explosive Vervielfältigung der Bücher und damit die entsprechende Verbreitung der neuen Ideen und Ansichten der Humanisten waren zusammen mit der fruchtbaren Auseinandersetzung mit zwei großen Kulturen – der griechischen Antike und der mittelalterlichen arabischen – revolutionär. Die beiden stehen aber auch mit Fibonacci für den gewaltigen Neubeginn und Aufschwung der Mathematik und der Naturwissenschaften.

In einem weiteren Buch wird die Befruchtung der Kunst durch die Geometrie in dieser besonderen Zeit untersucht und beschrieben. Auch hierzu stehen hilfreiche Exponate in der Mathothek zur Verfügung.

Auch hierzu stehen hilfreiche Exponate in der Mathothek zur Verfügung, um viele der beschriebenen Themen besser verstehen zu können. Ein Beispiel ist das sog. Mysterium Cosmographikum.

Leider stellte sich dieser Versuch, die Planetenbahnen quasi durch die fünf platonischen Körper zu trennen und zu verbinden, als falsch heraus. Was den Ästheten enttäuschte, den modernen Wissenschaftler aber zur Entdeckung der elliptischen Form der Planetenbahnen führte.

Ein anfassbares und zerlegbares Modell dieses Versuchs aus stabiler Pappe steht in der Mathothek den Besuchern zur Verfügung:

Ebenso gibt es eine Fülle von Objekten zum Thema der platonischen sowie anderer regelmäßiger Körper:

Auch die für die Malerei der Renaissance so wichtige Entdeckung der Perspektive und der Untersuchung der Zentralprojektion wird in dem Buch ausführlich dargestellt und kann mit der Hilfe einiger Objekte der Mathothek erfahren werden.

Im Zentrum  der  großen Ausstellung im Frankfurter Museum für Kommunikation im Jahr 2018 stand der mit der Renaissance eng verbundene Goldene Schnitt:

Göttlich Golden Genial – Weltformel Goldener Schnitt?

Der Katalog zu dieser Ausstellung ist in deutscher und englischer Sprache und steht in der Mathothek Besuchern zur Verfügung. Mit ihm kann der Besucher der Mathothek viele Exponate zum Thema des Goldenen Schnitts in Bildern und hervorragenden Texten kompetenter Autorinnen und Autoren sich eingehend über die nicht mehr existente Ausstellung informieren und zweitens können sie die sehr gegenwärtigen Exponate zum Goldenen Schnitt in der Mathothek anschauen, anfassen und erforschen. Allerdings fehlen dabei die „kostbaren“ Exponate aus fürstlichen Schatzkammern, die mit Edelsteinen und Gold geschmückt sind.

Zu wirklich sehr vielen Exponaten der Ausstellung gibt es in der Sammlung der Mathothek schöne und funktionierende „Ersatzstücke“.

Zum Titel von Katalog und Ausstellung ist wohl noch anzumerken, dass sein zweiter Teil „Weltformel Goldener Schnitt?“ nicht bejaht werden kann, aber der erste Teil Göttlich Golden Genial einiges an Wahrheit enthält, nämlich für alle, die mit Interesse und Offenheit sich auf die Suche nach den Auftritten der attraktiven göttlichen Proportion begeben, ohne sich einem Dogma zu unterwerfen. Dabei darf natürlich aus der faszinierenden Suche aber niemals eine die Vernunft einschränkende Sucht werden.

Sehr empfehlenswert ist als Buchbegleiter mit interessanten mathematischen Koordinaten auf diesen Entdeckungsreisen: Der Goldene Schnitt von A. Beutelspacher / B. Petri aus dem Spektrum – Verlag. 

Der kleine Katalog zu einer Ausstellung der DZ-Bank [Kunstsammlung] mit dem Titel DIE ZAHL ALS CHIFFRE IN DER KUNST im Jahr 2018 enthält Interessantes zum Thema Mathematik, Kunst und Finanzwissenschaft.

Dabei bekommt man noch einmal einen besonderen Blick auf die Renaissance als großen Aufbruch in die Neuzeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neun − 5 =