Der Weg von den reellen zu den komplexen Zahlen – Von der Zahlengeraden zur Gauß’schen Ebene

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Bei allen Zahlenbereichen, die aus den “gottgegebenen” natürlichen Zahlen bis zu den reellen Zahlen durch Erweiterungen konstruiert wurden, geschah dies so, dass neue Anwendungen und Lösungen für weitere Probleme geschaffen wurden, dass aber diese Erweiterungen so erfolgten, dass das Bisherige immer erhalten blieb, dass der “alte” Zahlenbereich in den neuen eingebettet wurde. In einem gewissen Sinne ist mit den reellen Zahlen nun “das Ende der Fahnenstange” erreicht. Und doch gab es noch weitere Versuche, neue Zahlen zu schaffen. Besonders fruchtbar war die Erweiterung der reellen Zahlen durch die imaginären Zahlen zu dem Zahlenbereich der komplexen Zahlen. Zwar wurde schon früher zum Lösen von gewissen algebraischen Gleichungen die imaginäre Einheit erfolgreich benutzt, aber die Verwendung der imaginären Einheit war vielen nicht geheuer. Ähnlich war es auch bei der Einführung der Null gewesen. Erst der “Fürst der Mathematiker”, Carl Friedrich Gauß, hat die neuen Zahlen auf das Fundament der reellen und damit der “göttlichen” natürlichen Zahlen gestellt.

Warum lohnt sich der Aufwand einer erneuten Zahlbereichserweiterung doch? Bisher entstanden die erweiterten Zahlbereiche durch in dem bisherigen Zahlbereich nicht lösbaren Gleichungen. So war es auch bei der Erfindung der imaginären Zahlen. Dass die einfache Gleichung x2+1=0 (⇔x2=-1) nicht lösbar in der Menge der reellen Zahlen ist, ist sehr leicht einzusehen, denn für alle reellen Zahlen r gilt r2≥0. Aber dieses Problem ist natürlich nicht der einzige Grund für die Erfindung der komplexen Zahlen. Sie macht alle Polynomgleichungen

anxn+an-1xn-1+…+a1x1+a0=0

lösbar, ist innermathematisch und auch bei vielen Anwendungen hilfreich.

Auch zu diesem besonderen Thema, dass den meisten Schülern in ihrer Schulzeit nicht unbedingt begegnen wird, aber in etlichen Studiengängen, gibt es interaktives Material in der Mathothek:

Die Zahl i (imaginäre Einheit) ist die “Lösung”: i2=-1. Nun muss ein Zahlbereich konstruiert werden, der die reellen Zahlen und i erhält und dem man wie gewohnt rechnen kann, also addieren, multiplizieren, subtrahieren und dividieren. Es handelt sich um die komplexen Zahlen. Dazu reicht aber die Zahlengerade nicht mehr aus, alle Punkte der Geraden sind genau einer reellen Zahl zugeordnet, es gibt also eine umkehrbare Zuordnung von reellen Zahlen und Punkten einer Geraden. Da fand Gauß die Lösung: Er ordnete seine komplexen Zahlen umkehrbar eindeutig den Punkten einer Ebene zu, der nach ihm benannten Gauß’schen Ebene.

Zum Kennenlernen der komplexen oder Gauß’schen Ebene gibt es ein interaktives Objekt in der Mathothek:

Dem Punkt (a;b) ordnete er die komplexe Zahl z zu mit Realanteil a und dem Imaginäranteil b, als Gleichung z=a+bi geschrieben. Die imaginäre Zahl i entspricht damit dem Punkt (0;1). Die senkrechte Koordinatenachse umfasst die rein imaginären Zahlen, z.B. (0;2)=2i, (0;37)=37i, (0;-11)=-11i usw. Die waagrechte Koordinatenachse umfasst alle reellen Zahlen, z.B. (1;0)=1, (-5,2;0)=-5,2 usf. Somit ist garantiert, dass der neue Zahlbereich natürlich so konstruiert ist, dass er den alten Bereich der reellen Zahlen enthält.

Dabei lassen sich die weißen Chips den komplexen Zahlen, den in der Gauß’schen Ebene rot eingetragenen Punkten zuordnen:

Die beiden Grundrechenarten, Addition und Multiplikation, wurden definiert für die komplexen Zahlen und damit auch ihre Umkehrungen, Subtraktion und Division:

 

  • Addition zweier komplexer Zahlen: (a;b)+(c;d)=(a+c;b+d)
  • Multiplikation zweier komplexer Zahlen: (a;b)⋅(c;d)=(a⋅c-b⋅d;a⋅d+b⋅c)

Was ergibt sich für i2?

i2=(0;1)⋅(0;1)=(0⋅0-1⋅1;0⋅1+1⋅0)=(-1;0)=-1, also i2=-1, wie gewünscht.

Was folgt aus den Definitionen für das Rechnen mit den reellen Zahlen?

(a;0)+(d;0)=(a+d;0) und (a;0)⋅(d;0)=(a⋅d-0;0+0)=(a⋅d;0), entspricht den gewohnten Ergebnissen a+d und a⋅d für die reellen Zahlen a und d. 

Die Regeln für die Subtraktion und Division der komplexen Zahlen ergeben sich aus der Umkehrung von Addition und Multiplikation, z.B. (a;b)-(c;d)=(x:y)⇔(a;b)=(x;y)+(c;d)⇔(a;b)=(x+c;y+d), also a=x+c und b=y+d. Daraus folgt dann x=a-c und y=b-d. Das liefert

(a;b)-(c;d)=(a-c;b-d).

Entsprechend verfährt man mit der Division.

Meistens schreibt man die komplexen nicht als Paare reeller Zahlen. Mit der Definition i=(0:1) und den Definitionen von Addition und Multiplikation ergibt sich (a;b)=(a;0)+(0;b)=(a;0)+(b;0)⋅(0;1), sodass man die komplexe Zahl z=(a;b) auch wieder z=a+b⋅i oder kurz auch z=a+bi schreiben kann. Dadurch wird der Umgang mit den komplexen Zahlen einfacher, beispielsweise ergibt sich für die Multiplikation von z=a+bi und w=c+di: z⋅w=(a+bi)⋅(c+di)=ac+adi+cbi+bdi2=ac+adi+cbi+bd⋅(-1).

Damit gilt z⋅w=(ac-bd)+(ad+cb).

Auch zur Addition komplexer Zahlen gibt es in der Mathothek ein hilfreiches Exponat. Geometrisch zeigt sich, dass die Zahlen 0, u, v und u+v in der Gauß’schen Ebene ein Parallelogramm bilden.

Für eine geometrische Deutung der Multiplikation zweier komplexer Zahlen u und v ist es hilfreich eine zweite Darstellung der komplexen Zahlen zu kennen. Bezeichnet r den Abstand des Punktes z von der Null (den Betrag von z) und α den Winkel zwischen der positiven reellen Achse und dem Strahl von 0 zu z, und zwar gegen den Uhrzeigersinn gemessen (das Argument von z) so ist die komplexe Zahl z durch r und α umkehrbar eindeutig bestimmt. (Nur wenn r=0 ist, kann α jeden Wert annehmen, die gemeinte Zahl ist immer 0.) Zum Verständnis dieser Darstellung der komplexen Zahlen mithilfe der Polarkoordinaten gibt es ebenfalls ein hilfreiches Objekt für die Besucher der Mathothek:

Der Zusammenhang der Darstellung einer komplexen Zahl z=a+bi mit ihren Polarkoordinaten r als Betrag und α als Argument entspricht der Gleichung z=r(cosα+i⋅sinα), also a=r⋅cosα und b=r⋅sinα. Für die Multiplikation der beiden komplexen Zahlen z=r(cosα+i⋅sinα) und w=s(cosβ+i⋅sinβ) ergibt sich dann z⋅w=r⋅s(cos(α+β)+sin(α+β), d.h. die beiden Beträge r und s werden multipliziert und die beiden Argumente α und β addiert.

Diese Multiplikationsregel für komplexe Zahlen kann mit einem weiteren Exponat der Mathothek be-griffen werden:

Die unten zu sehende Bildfolge zeigt die geometrische Darstellung der Multiplikation der komplexen Zahlen u=3(cos30°+i⋅sin30°) und v=4(cos80°+i⋅sin80°).

Die nächsten Bilder ergeben nach der Multiplikationsregel das Produkt (blau) von u und v:  u⋅v= 3⋅4⋅(cos(30°+80°)+i⋅sin(30°+80°):

Also ergibt sich zusammengefasst:

Aber auch abgesehen von der Faszination des Apfelmännchens (Siehe am Ende!) bis zu den wirklich bedeutenden Leistungen in der Funktionentheorie ist das mathematische Gebäude der komplexen Zahlen außerordentlich ästhetisch und praktisch und somit in der Lage, aufgeschlossene Menschen für die Mathematik zu begeistern. Diese Wirkung wird auch durch das folgende bescheidene Exponat der Mathothek bestätigt:

In der Menge der reellen Zahlen sind die Gleichungen der Form xn=1 höchst langweilig: Ist der Exponent n eine ungerade Zahl, so gibt es nur die Lösung x=1. Ist dagegen n eine gerade Zahl, so gibt es zwei Lösungen, nämlich +1 und -1. Und das war es auch schon.

Aber um wie viel reicher und schöner ist es mit den komplexen Lösungen derselben Gleichungen xn=1 in der Gauß’schen Ebene bestellt. Jede dieser Gleichungen hat hier n Lösungen, die auch Einheitswurzeln genannt werden. Dabei bilden diese n Lösungen der Gleichung xn=1 die n Ecken eines regulären n-Ecks:

Die Einheitswurzeln können auch mit Objekten dieses Exponats gefunden werden. Hier am Beispiel y6=1:

Ein großes Interesse an den komplexen Zahlen herrschte mit dem Aufkommen von bezahlbaren Personal Computern im Zusammenhang mit Mandelbrodmenge und Juliamengen. Bei diesen interessanten fraktalen Gebilden waren neben der Rechenleistung des Computers einige Kenntnisse aus dem Rechenbereich der komplexen Zahlen sinnvoll. Der Computer errechnet die Figuren des Apfelmännchens aus einfachen Rekursionsformeln für komplexe Zahlen in der Form zn+1=(zn+c)2 und deren Konvergenzverhalten.

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