Alltagsgegenstände und Geometrie – Zweckmäßigkeit und Ästhetik

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In der Mathothek gibt es eine Sammlung von Objekten, die uns im Alltag immer wieder begegnen, ohne dass wir über ihre mathematischen Aspekte nachdenken, ja dass wir diese überhaupt wahrnehmen. Manchmal schafft es erst die Werbung, dass uns die Augen geöffnet werden: “ … quadratisch, praktisch, gut“. Durch die zusammengetragenen Alltagsgegenstände sollen die Besucher sensibilisiert werden, die verschiedenen mathematischen Bezüge in den selbstverständlich genutzten Objekten des normalen Alltags wahrzunehmen. Ingenieure und Designer benutzen aus technischen oder ästhetischen Gründen mathematische Eigenschaften bei der Herstellung von Alltagsdingen. In diesem Artikel soll ohne besondere Vertiefung das an einigen ganz gewöhnlichen oder auch überraschenden Beispielen gezeigt werden.

Kurze Hinweise zu den abgebildeten Gegenständen sollen exemplarisch auf den mathematischen Bezug hinweisen und den mathematischen Blick trainieren.

Vier Kerzenformen, die Alternativen zu den meist  üblichen zylindrischen Kerzen darstellen: Kugel, sechseckiges Prisma, Kegel und Pyramide.

Vier alltagstaugliche Trinkgläser – Kegel, Kegelstumpf und Zylinder. Das Coca-Cola-Glas ist wie die drei ersten ein Rotationskörper, den man erhält, wenn man den Graphen einer Sinusfunktion um eine Achse rotieren lässt.

Ein Eierbecher aus Holz und ein „zu hart gekochtes“ Ei. Auch diese beiden sind Rotationskörper. Ein Drechsler war bzw. ist ein Handwerker, der mithilfe seiner Drechselbank aus Holz rotationssymmetrische Gegenstände herstellte. Grundlage ist für jeden Rotationskörper die Profillinie. Das gilt auch für mit der Töpferscheibe hergestellte Gegenstände aus Ton.

Diese Rotationsform enthält noch mehr Geometrie: In der Mitte schmückt ein Zierband in Zickzack-Form das Objekt. Solche Verzierungen in der Form von geometrischen Bandmuster sind uralt. Sie waren und sind in vielfältigen Erscheinungsformen praktisch in allen Kulturen beliebt und zeigen, dass es den Menschen nie nur um den Zweck der Alltagsdinge ging, sondern immer auch um ihre Ästhetik.

Zum Alltagsgeschirr mit besonderen Formen gehören die Porzellanteller mit achsen- und drehsymmetrischer blauer Bemalung. Eine kleine Backform mit drehsymmetrischem Muster, das sich dann auch auf dem Kuchen (hoffentlich!) wiederfindet.

Gegenstände, die in Handarbeit entstanden, geflochten, gestickt, geklöppelt usw. sind meistens ganz besonders ästhetisch gestaltet und fast immer finden sich bei ihnen die verschiedensten Symmetrien. 

Nicht nur Skatkarten , sondern auch andere Spielkarten sind häufig symmetrisch gestaltet. Dabei stutzt mancher, weil er hier Symmetrie wahrnimmt, es aber keine „Spiegelsymmetrie“ ist. Die Bildkarten sind nicht achsen-, sondern punktsymmetrisch. Das gilt auch für das genderkorrekte Paar, das sich im Raum als achsensymmetrisch entpuppt. Bei dem Yin-Yang-Objekt kann man den Zusammenhang von Punktsymmetrie in der Ebene und der Achsensymmetrie im Raum gut erkennen. In beiden Fällen handelt es sich um Drehsymmetrien um 180°. Auch die kleine Schale ist drehsymmetrisch, und zwar achsensymmetrisch im Raum mit Drehungen an einer Achse um 90°, 180°, 270° und 360°.

Diese Objekte sind nun sehr alltäglich und ihre zylindrische Form ist es auch. Aber was ist mit den Chips? Sie sind essbare Veranschaulichungen einer nicht-euklidischen Ebene, einer hyperbolischen Ebene, in der das Parallelenpostulat von Euklid nicht gilt. (Dazu gibt es in der Mathothek ausführlichere Darstellungen.)

Ein auch nicht ganz so populäres geometrisches Gebilde steckt in jedem dieser drei Behälter, das einschalige Hyperboloid. Es entsteht durch die Rotation einer Hyperbel um eine ihrer beiden Achsen. Dabei begegnet uns diese Form nicht nur in der gläsernen Vase, sondern schon in den meisten floristisch gebundenen Blumensträußen:

Das ist echt Mathematik aus dem Hinterhalt!

Die Begegnung im Alltag mit der Geometrie zeigt uns natürlich nicht nur ästhetische Beweggründe, sondern ebenso besonders zweckmäßige Eigenschaften. Diese Marmelade-Gläser sind nicht nur schön, sondern auch äußerst platzsparend, weil die regelmäßigen sechseckigen Grundflächen der Prismen die Fläche vollständig ausfüllen (Prinzip Bienenwabe!).

Der Fall der „goldenen“ Kette und die Bespannung des kleinen Liegestuhls haben dieselbe mathematische Form: eine Kettenlinie. Die Kettenlinie ist mathematisch eine äußerst interessant Kurve und bildet sich überall, wo eine Kette, ein Seil usw. frei zwischen zwei Punkten hängt.

Schön und vor allem sehr zweckmäßig sind im Alltag Spiralen und Schraubenlinien. Bei dem Untersetzer handelt es sich um eine archimedische Spirale, bei dem Korkenzieher und den Schrauben um Wendeln oder Schraubenlinien.

Bei diesem Objekt ist ein anpassungsfähiger Untersetzer, der wenig Platz wegnimmt und nach Bedarf vergrößert werden kann, in dem man ihn auseinanderzieht. Die verbundenen geraden Teile bilden immer eine Kette von Parallelogrammen. Zu den Zeiten des „Immobil-Telefons“ wurden dies oft mit solchen Scherengittern an der Wand befestigt, um sie mobiler zu machen. Eben aus diesem Grunde wurden Scherengitter oft für Lampen benutzt.

Ein Würfelzuckerbehälter in Kugelform aus Edelstahl mit kleinen tetraederförmigen Streuzuckerbehältern. Tetraeder gehören zu den fünf platonischen Körpern, die besonders viele Symmetrieeigenschaften besitzen. Die fünf so symmetrischen Körper sind der Würfel, das Oktaeder, das Tetraeder, das Ikosaeder und das Dodekaeder:

Natürlich treffen wir unter den Alltagsgegenständen auch immer wieder auf Kreise. Nicht nur die zwei abgelichteten Objekte,  CD und ein kleiner  Behälter, der sich beispielsweise aus Bierdeckeln nachbauen lässt, erinnern uns daran. Aber die schräge Perspektive lässt jeden Kreis auch zu einer Ellipse werden.

Manche gesunde Frucht erinnert, bevor wir hineinbeißen, in ihrer Form an einen Rotationskörper. Die dekorative Holzschale ist ein Viereck aus einer Kugelfläche.

So spielen die verschiedenen Symmetrien eine große Rolle, z.B. in den Mustern von Bändern, Stoffen und Pflasterungen. Mathematische Körper finden sich aus praktischen und ästhetischen Gründen sehr oft im Design von Verpackungen und Flakons für Parfüm. Kombinatorik, Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung stecken regelmäßig in den Ideen für viele interessante Spiele.

Eine besonders interessante Begegnung mit Mathematik in unserer Umgebung steckt in dem Exponat „Mathematik auf Schritt und Tritt – mathematische Rundgänge in Mainz und Wiesbaden“ mit seinen über 200 Fotos.

Aber wir treten im Alltag oft die Mathematik auch mit den Füßen, und zwar auf gepflasterten Straßen und Wegen, aber auch in parkettierten stattlichen Räumen und Sälen:

Sogar einen der bekanntesten Sätze der Mathematik, der Satz des Pythagoras, wird – ohne Bedenken – mit Füßen getreten. Das passiert in Fußgängerzonen, beispielsweise in Mainz, aber auch in Fluren und Bädern, z.B. in Wiesbaden-Biebrich. Hier das Beweisfoto:

In der Mathothek gibt es dazu ein interaktives erklärendes Exponat:

Seit in den 1950er Jahren die Deutschen Italien als Urlaubsland entdeckten, begann auch ihre Liebe zu Pasta-Gerichten. Sie gehören inzwischen zum Alltag in der deutschen Küche. Dass damit die „Vielfalt der Nudelformen“ in die deutschen Küchen einzog, ist natürlich trivial. Gar nicht trivial aber ist es, diese Vielfalt auf allerhöchstem Niveau mathematisch zu analysieren und als Funktionen darzustellen. Diese mathematisch penible Analyse und Darstellung von mehr als 90 italienischen Pastaformen verdanken wir dem britischen Mathematiker George L. Legendre, der in seinem 2011 erschienenen Buch {Pastaby Design} die Pastasorten von ANCINI DI PEPE bis ZITI mathematisch beschrieben hat. Ein „köstliches“ Buch! „Buon appetito!“

In der Mathothek gibt es nicht nur dieses Buch in Englisch und Deutsch, sondern auch fast 50 der im Buch untersuchten „Pastasorten“. Allerdings wird mit diesem Exponat das Prinzip der Mathothek „Mathothek – Mathematik begreifbar machen“ schon etwas auf den Kopf gestellt. Das drückte auch der Kommentar einer Mainzer Ladeninhaberin für italienische Lebensmittel aus: „So etwas Verrücktes kann jemandem auch nur auf dieser nebligen und verregneten Insel einfallen.“

Mit diesen für die meisten Menschen aus dem Alltag und ihrer vertrauten Umgebung bekannten Dinge geht es darum, den „mathematischen Blick“ im Alltag neu zu schärfen. So kann und soll die Mathothek zu einer wirksamen Sehschule werden.

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